Verbindungsstandard Matter : Eine gemeinsame Sprache
Der Smart-Home-Markt konnte die großen Erwartungen bisher nicht erfüllen. Eine mögliche Erklärung für den ausbleibenden Durchbruch auf breiter Front: Es fehlt schlicht ein übergreifender Standard, der die zahlreichen verfügbaren Insellösungen von ebenso vielen Herstellern anbieterunabhängig vernetzt und eine gemeinsame Nutzungs- und Entwicklungsbasis schafft. Matter soll nun genau dieser Standard sein.
Über 200 Unternehmen
Gestartet hat dieser ursprünglich noch unter dem Namen „Connected Home over IP“, maßgeblich getrieben durch die ehemalige Zigbee Alliance, die sich im vergangenen Jahr in Connectivity Standards Alliance (CSA) unbenannt hat. Obwohl keine technologische Revolution, ist das Konzept vielversprechend. Allein die Zahl der Unterstützenden lässt aufhorchen: Aktuell haben sich mehr als 200 Unternehmen hinter Matter gestellt und kompatible Produkte angekündigt, darunter Größen wie Amazon, Google, Apple, Infineon, Ikea, Schneider Electric und Legrand.
Für die CSA ist der Standard ein gewaltiger Sprung im Smart-Home-Segment. Ob Zigbee oder Z-Wave: Bereits vor Matter sollten Funkprotokolle ein gemeinsames technologisches Dach schaffen. Der entscheidende Unterschied neben den vielen namhaften Unterstützenden: Die Unternehmen sind von Anfang an in die Entwicklung eingebunden, gestalten mit, investieren und haben somit ein Eigeninteresse am Erfolg.
Die technische Basis
Technisch setzt Matter auf dem Internet-Protokoll auf und bündelt die Übertragungsstandards Ethernet (802.3), Wi-Fi (802.11), Thread (802.15.4) und Bluetooth Low Energy. Letzterer kommt vor allem bei der Ersteinrichtung von Geräten zum Einsatz.
Ein nicht ganz unberechtigter Kritikpunkt einiger Expert*innen: Matter nutzt das 2,4 Gigahertz-Frequenzband. Dieses ist in zahllosen Routern und netzwerkfähigen Geräten im Einsatz und daher in vielen Haushalten schon jetzt überlastet. Allerdings dürfte die Kommunikation der Smart-Home-Produkte allenfalls geringe Anforderungen an die vorhandenen Netzwerkkapazitäten stellen und die Frequenz somit kaum nennenswert in Beschlag nehmen.
Relevant ist zudem, dass die Kommunikation rein auf das lokale Netzwerk ausgelegt ist. Steuerungsbefehle auf Matter-Basis müssen daher nicht erst über das Internet in die Cloud wandern. Das könnte nicht nur Latenzen geringhalten und den Einsatz auch ohne Internetverbindung ermöglichen, sondern vor allem einen Vorteil im Hinblick auf den Datenschutz bringen. Die CSA betont den grundsätzlichen Sicherheitsanspruch der Technologie: So setzt Matter unter anderem auf die Blockchain. Sie soll für Manipulationssicherheit sorgen, denn alle Software-Änderungen werden registriert und nachverfolgbar dokumentiert. Auch der Open-Source-Ansatz der Allianz spricht für die Transparenz der anbieterübergreifenden Entwicklung.
Künftig sollen dann alte wie neue Geräte von Matter profitieren. Doch obwohl der Standard auf IP setzt, ist längst nicht garantiert, dass bestehende Produkte automatisch mit dem neuen Standard kompatibel sind. Die Hersteller müssen erst Updates anbieten, um die Firmware für die neuen Anforderungen zu rüsten. Auch die Performance der Hardware spielt dabei eine Rolle. Fehlt es an Speicher oder Prozessorleistung, könnte das eine umfassende Aktualisierung verhindern.
Nichtsdestotrotz bleibt es ein großer Vorteil, dass nicht nur Neuentwicklungen eingebunden werden können. Ein Logo auf den Verpackungen soll in Zukunft kompatible Geräte ausweisen. Und wie schnell die Hersteller Matter in ihre Produkte implementieren, könnte von entscheidender Bedeutung sein. Je größer das Sortiment zum Start, umso attraktiver ist es für Nutzer*innen.
Pro | Contra |
---|---|
• Auf lokales Netzwerk ausgelegt: Einsatz ohne Internetverbindung und Vorteil im Hinblick auf Datenschutz | • Nutzt das 2,4 Gigahertz-Frequenzband: Aber allenfalls geringe Anforderungen an die Netzkapazitäten |
• Setzt auf Blockchain | • Hersteller müssen erst Updates anbieten: Performance der Hardware spielt eine Rolle |
• Open-Source-Ansatz | |
• Einbindung nicht nur für Neuentwicklungen möglich |
Start verschoben
Wann genau der Startschuss für Matter genau fallen wird, ist aktuell noch unklar. Immerhin gestaltet sich der Entwicklungsprozess aufgrund der vielen involvierten Unternehmen komplex – was zuletzt, wohl auch beeinflusst durch die Corona-Pandemie, für Verzögerungen gesorgt hat. Noch heuer sollen die Hersteller jedoch Software-Development-Kits erhalten, die ersten Geräte sollen den Zertifizierungsprozess abschließen und das formale Zertifizierungsprogramm soll beginnen.
Kürzlich sprach die Allianz von 134 Geräten von 53 Herstellern, die für eine Zertifizierung vorliegen. Allerdings befinden sich diese in unterschiedlichen Phasen. Expert*innen gehen davon aus, dass zum Start bestenfalls rund die Hälfte der Produkte erhältlich sein könnte – vor allem upgedatete Geräte wie beispielsweise Amazons Echo-Lautsprecher, Googles Nest-Produkte oder auch Smart-TVs von Samsung und LG.
Trotz einiger offener Punkte zeigt sich CSA-Chef Tobin Richardson zufrieden mit dem Fortschritt. Die rege Beteiligung der Hersteller würde zeigen, „dass die Unternehmen verstehen, wie wichtig Matter als vereinheitlichender Standard für die Verbraucher*innen, die Industrie und die ganze Welt ist“. Noch gibt es viel zu tun, bis Matter-fähige Produkte tatsächlich die Regale und die Online-Shops erreichen. Die Fortschritte im Prozess sowie die regelmäßigen Updates der CSA sind jedoch ein guter Indikator dafür, dass der neue Übertragungsstandard bereits weit vorangeschritten ist. Matter mag vielleicht nicht die angekündigte Revolution sein, der Standard könnte dem Smart-Home-Markt jedoch durchaus einen Schub verpassen.
Die Unternehmen verstehen, wie wichtig Matter als vereinheitlichender Standard für die Verbraucher*innen, die Industrie und die ganze Welt ist.CSA-Chef Tobin Richardson
Großes Potenzial – mit Abstrichen
Ohne Frage – Matter ist im Smart Home-Bereich eine der aktuell spannendsten Entwicklungen. Aufgrund der zahlreichen involvierten Hersteller hat der Übertragungsstandard das Potenzial, eine gemeinsame Sprache zu schaffen und somit den Dominanzkampf zu beenden, den viele Anbieter bisher auf Basis proprietärer Technologien ausgetragen haben. Im Idealfall gehört die Frage nach der Kompatibilität verschiedener Geräte bald der Vergangenheit an. Es wäre eine der wichtigsten Voraussetzungen, um dem Smart Home endlich den Massenmarkt zu öffnen.
Aber: Matter ist ein Übertragungsstandard, kein eigenes System. Die gemeinsame Entwicklung wird bestehende Systeme und somit auch die zahllosen Apps im Markt nicht ersetzen, sondern diese weiterhin voraussetzen – auch wenn sie künftig lernen könnten, miteinander zu sprechen. Die großen Anbieter könnten also auch künftig weiterhin darum ringen, ihr jeweiliges Angebot als verknüpfende Schaltzentrale im Smart Home zu etablieren.
Von einem Heilsbringer kann also nur bedingt die Rede sein – und doch ist Matter ein vielversprechender Schritt in die richtige Richtung.