Energiewende : „Umstellung auf erneuerbare, CO₂-freie Energie mit dem bestehenden Netz nicht zu schaffen"
Je mehr die Energiewende Gestalt annimmt, desto deutlicher wird: Die Ziele der österreichischen Klima- und Energiestrategie #mission2030 hängen entscheidend vom Ausbau der Netzinfrastruktur ab. Die Verteilernetze der Zukunft müssen viele dezentrale Produzenten vernetzen, Energiegemeinschaften integrieren und den stärkeren Schwankungen gewachsen sein, die bei Wind- und Sonnenenergie auftreten.
Rahmenbedingungen gefordert
Beim Energiepolitischen Hintergrundgespräch des Forums Versorgungssicherheit im Jänner 2022 erklärte Brigitte Ederer, Sprecherin des Forums Versorgungssicherheit: „Die Umstellung auf erneuerbare, CO₂-freie Energie ist mit dem bestehenden Netz nicht zu schaffen. Ohne Netzumbau scheitert die Energiewende.“ Das Forum Versorgungssicherheit ist die gemeinsame Plattform der Wiener Netze, Netz Niederösterreich, Netz Burgenland, Linz Netz und Netz Oberösterreich. Die fünf Netzbetreiber wollen bis 2030 rund 10 Milliarden Euro in den Ausbau investieren, um die Energiewende zu ermöglichen. Doch für die erfolgreiche Umsetzung dieser Ausbaupläne braucht es noch zahlreiche Rahmenbedingungen, ergänzte Manfred Hofer, Geschäftsführer der Netz Oberösterreich: „Wir können diese historisch einmalige Transformation des Energiesystems nur unterstützen, wenn wir dafür klare, eindeutige und stabile Rahmenbedingungen haben. Diese gibt es leider so noch nicht.“
Stromnetz muss umgebaut werden
Mit der #mission2030 will Österreich auf erneuerbaren und klimafreundlichen Strom umsteigen. Der gesamte Strom-Sektor soll in den kommenden acht Jahren bilanziell gesehen CO₂-neutral werden. Dafür ist es notwendig, neben den Erzeugungskapazitäten in Österreich auch die Netze auszubauen. Zentrales Puzzlestück dieses Unterfangens ist das Stromnetz: Es muss so umgebaut werden, dass große Mengen an Strom kurzfristig aufgenommen, abgegeben und verschoben werden können. „Für die Vielzahl an neuen, dezentralen, sauberen und klimaschonenden Einspeiseanlagen ist das Stromnetz heute nicht ausgelegt“, so Ederer.
In den vergangenen Jahren konnte das Stromnetz, das ursprünglich für einen hierarchischen Stromtransport von großen Kraftwerken zu den Verbrauchern geplant war, den Zubau noch verkraften. Die jetzt anstehende Transformation strebt aber ganz andere Ausbauziele an: „Österreich braucht 2 Millionen zusätzliche Photovoltaikanlagen zwischen Bregenz und Wien. Häuser ohne Photovoltaik auf dem Dach werden künftig die Ausnahme sein“, sagt Hofer. Und Österreich brauche zu den schon bestehenden rund 700 Windkraftanlagen noch einmal rund 1.200 neue dazu. „Wenn diese Hindernisse für einen raschen Netzausbau nicht beseitigt werden, können immer öfter erneuerbare Energien nicht mehr fließen. Die Investitionen sind auf Schiene, wir brauchen für die Umsetzung aber unterstützende Rahmenbedingungen – sonst wird es leider bei Zielen bleiben und die Energiewende nicht erreichbar sein“, fügt Hofer hinzu.
Wo die Netzbetreiber Verbesserungen einmahnen:
- Sachliche Orientierung der Vorschriften und klare Festlegungen insbesondere bei der Priorisierung von Umsetzungs- und Schutzzielen sowie im Bereich der Technik
- effiziente, straffe Verfahren
- Wirtschaftlichkeit, Kostenanerkennung, insbesondere angemessene Verzinsung auf das eingesetzte Kapital
Seitens der Netzbetreiber braucht es im Zusammenhang mit dem Netzausbau sachliche Orientierung und klare Festlegungen für die Umsetzung der Energie- und Klimawende. Dafür fordert das Forum nach klaren Vorrangregeln für die Schutzziele. „Konsens sollte mittlerweile sein, dass der Klimaschutz oberste Priorität haben muss. Darunter benötigen wir eine sinnvolle Reihung“, betont Hofer. Der Netzausbau werde verhindert, wenn Grundsatzentscheidungen jedes Mal im Genehmigungsverfahren über Jahre hinweg diskutiert werden. „Diese Zeit haben wir beim Klimaschutz nicht!“
Freileitung oder Erdkabel?
Gleiches gilt laut den Netzbetreibern auch für die immer wieder aufflammende Diskussion um Freileitung oder Erdkabel: „Österreichs Stromversorgung ist weltweit spitze. Unser Ziel ist, dass wir das auch mit dem Umbau des Stromnetzes bleiben können“, erklärt Hofer. Dazu brauche es wiederum Festlegungen und Priorisierungen auf sachlicher Basis. Aber: „Die Physik hat Gesetze und ist nicht willkürlich. Weiters ist nicht alles, was technisch machbar wäre, auch technisch-wirtschaftlich sinnvoll.“ Die Netzbetreiber sehen einen Mix aus Freileitungen im Höchst- und Hochspannungsnetz und Erdkabel im Mittel- und Niederspannungsnetz als beste Variante im Sinne der Versorgungssicherheit. Von 265.088 Kilometern Stromleitungen in Österreich sind 72,8 % als Erdkabel ausgeführt, bei der Stromverteilung von den Umspannwerken zu den Trafostationen und weiter zu den Häusern und Betrieben liegt der Erdkabelanteil bei 66,3 bzw. 82,6 %. Bei der Übertragung im Hoch- und Höchstspannungsnetz bei 6,9 bzw. 0,9%. Hofer: „Verkabeln dort, wo es objektiv sinnvoller ist. Jeder Meter Erdkabel bei der lokalen Verteilung des Stroms ist sinnvoller eingesetzt als bei der überregionalen Verteilung bzw. beim Transport!“
Straffung gesetzlicher Rahmenbedingungen
Die Geschwindigkeit beim Netzaus- und -umbau könnte der Gesetzgeber durch Schaffen gesetzlicher Rahmenbedingungen für effiziente und straffe Verfahren fördern. Ausführungsgesetze und -verordnungen, die zur Umsetzung der Energie- und Klimawende notwendig sind, werden noch benötigt. Hofer nennt als konkretes Beispiel die 45-kV-Genehmigungsfreistellung aus dem Starkstromwegerecht: Für den Bau jeder neuen Trafostation sowie deren Ertüchtigung, Ersatz oder Ausbau muss ein Energierechtsverfahren durchgeführt werden. Da derzeit jedes Jahr rund 60 Trafostationen neu gebaut und in Summe fast 200 Genehmigungsverfahren durchgeführt werden, macht es einen Unterschied, ob vereinfacht eine Anzeige bei der Behörde ausreicht oder auf einen Bescheid gewartet werden muss.
Investitionen in der Schwebe
Die fünf Verteilernetzbetreiber des Forum Versorgungssicherheit wollen bis 2030 kräftig in den Umbau des Stromnetzes investieren. In Oberösterreich, Niederösterreich, Wien und dem Burgenland stehen Investitionen in Höhe von ca. 5,9 Milliarden Euro an. Ausgebaut werden Stromleitungen für Transport und Verteilung (Hoch-, Mittel- und Niederspannung) sowie in den Ausbau der Infrastruktur (Umspannwerke, Trafostationen). Rund eine Milliarde Euro wird zusätzlich in die Modernisierung der Zähler-Infrastruktur investiert. Auf der österreichweiten Transport-Ebene investiert der Übertragungsnetzbetreiber APG ebenfalls bis 2030 österreichweit weitere 3,5 Milliarden Euro. Österreichweit summiert sich, wie eine Studie im Auftrag von Österreichs Energie aufzeigt, der Aufwand der Netzbetreiber für den Netzausbau bis 2030 auf insgesamt rund 18 Milliarden Euro. Hofer abschließend dazu: „Es besteht die Gefahr des Investitionsabflusses, wenn keine angemessene Verzinsung für das eingesetzte Kapital der Eigentümer garantiert wird. Diese Angemessenheit bewegt sich aufgrund der aktuellen Entwicklungen von 4 auf 5 % zu. Und es ist mit einem weiteren Anstieg zu rechnen.“