Stromversorgung feinmaschig überwachen : Bei kritischen Infrastrukturen wie Rettungsleitstellen sind Ausfälle nicht akzeptabel
Rettungsleitstellen müssen als kritische Infrastrukturen höchst ausfallsicher ausgelegt sein. Es kann immer zu Störungen oder Stromausfällen kommen. Doch dank des Physical Security Information Management Systems IGM (IGM: Integratives Gesamtmanagement) von Paxner in Kombination mit den Leistungsmessern des BCM-Systems von Raritan werden nun in systemkritischen Bereichen die Elektroverteiler kontinuierlich überwacht. Störungen und Stromausfälle meldet das System frühzeitig bei Erreichen der vorgegebenen Grenzwerte.
So lassen sich Störungen bei angeschlossenen Komponenten erkennen, bevor diese einen größeren Schaden anrichten können. Das System überwacht sowohl die Zentralleitstelle im 3. Bezirk als auch die Fall-Back-Leitstelle im 17. Bezirk.
Die Leitstelle der Wiener Magistratsabteilung MA 70 (Berufsrettung) ist unter anderem für alle eingehenden Notrufe unter der Nummer 144 im Großraum Wien zuständig. Zur Leitstelle gehören insgesamt zwölf über die Stadt verteilte Rettungsstationen, deren Einsätze darüber koordiniert werden. Sie wurde im Jahr 2001 eröffnet und gehört noch heute zu den modernsten Leitstellen weltweit.
Feinstufige Strommessung im laufenden Betrieb integriert
Den Auftrag für die Integration des Überwachungssystems für die Stromversorgung erhielt die Wiener Firma Lohr. Sie ist Auftragnehmer der Wiener Magistratsabteilung MA 70 im Bereich Elektro- und Nachrichtentechnik. Für Projektleiter Armin Muratovic war ein ausschlaggebender Punkt für die Auswahl des IGM-Systems von Paxner die intuitive Benutzerführung der Software.
Die Überwachung der Stromversorgung wurde nachträglich im laufenden Betrieb integriert. Aus diesem Grund kamen handelsübliche Wandler nicht infrage. Sie hätten in den Stromkreis integriert werden müssen, was zu Betriebsunterbrechungen geführt hätte. Deshalb entwickelten Paxner und Lohr gemeinsam eine alternative Lösung. Entscheidend dabei war, dass sie trotz der großen Anzahl an geforderten Messpunkten wirtschaftlich sein sollte.
Der Distributor BellEquip aus dem Waldviertel gab Paxner den Tipp, eine Lösung aus dem Rechenzentrumsumfeld zu verwenden. Das Unternehmen gilt in Österreich als führender Systemanbieter für Infrastrukturlösungen. Das vorgeschlagene modulare Branch-Circuit-Monitoring-(BCM)-System von Raritan misst die Leistung mithilfe von Klappwandlern an beliebigen Stellen eines Versorgungsnetzes.
Leistungsmessung per Klappwandler
Diese Klappwandler werden einfach am gewünschten Messpunkt über das Stromkabel geklippt und sind damit einsatzbereit. Ein Messkabel verbindet sie mit einem Messmodul, das für die DIN-Schienen-Montage ausgelegt ist. Da die Klappwandler über eine Autokorrekturfunktion verfügen, muss bei ihrer Montage nicht auf die Energieflussrichtung geachtet werden, das System korrigiert die Messwerte automatisch. Das BCM-System stellt Klappwandler für verschiedene Kabeldurchmesser und Stromstärken von 60 bis 400 Ampere zur Verfügung.
Mit Klappwandlern zu abrechnungsfähigen Strommessungen
Das System misst über die Klappwandler äußerst präzise den anliegenden Strom und ermittelt alle relevanten Parameter mit entsprechender Genauigkeit:
- Wirkleistung und -energie mit einer abrechnungsfähigen Genauigkeit von ± 0,5 %
- Scheinleistung und -energie mit ± 2 %
- Effektivwerte für Strom und Spannung mit ± 0,2 %
- Frequenz mit 0,1 % Genauigkeit
- Auch der Leistungsfaktor wird ermittelt
Ein DIN-Modul für 96 Messkabel
Die Installation des Systems ist einfach und lässt sich an die jeweiligen Bedingungen vor Ort anpassen. Die Messkabel mit dem Klappwandler werden von den Modulen auf der DIN-Schiene zu den Messpunkten geführt. Dort haben die Installateur*innen von Lohr die Klappwandler an unzähligen Messpunkten im gesamten Versorgungsnetz der Leitstelle montiert: von den Einspeisungen der Netzbetreiber*innen und dem Dieselaggregat über die redundant ausgelegte Online-USV bis hin zu den letzten Leistungsschutzschaltern einer Versorgungsleitung. Auch wenn dem Projektleiter Armin Muratovic von Lohr die Komponenten des Systems zunächst teuer erschienen, stellte sich heraus, dass die Lösung aufgrund der großen Anzahl anschließbarer Messpunkte die preiswerteste Option war. Denn dabei überwacht ein PMM-1000 Main-Messmodul an einem Hauptstromkreis bis zu drei Phasen mit Neutral- und Schutzleiter. Für das Monitoring der abzweigenden Leitungen schaltet der Installateur einfach ein PMB-1960 Sub-Messmodul hinter das jeweilige Main-Messmodul. An dieses Sub-Messmodul kann er dann bis zu 96 Messverbindungen anschließen. Das können Niederspannungsschaltanlagen, Unterverteiler, Stromschienen, Schalttafeln oder Steckdosenleisten sein. Laut Armin Muratovic rechnet sich diese Lösung ab etwa 48 Messpunkten pro Hauptstromkreis.
Bei diesem Projekt war für ihn der herausfordernde Punkt in der Umsetzung die Dokumentation: „Wir haben im Vorfeld geprüft, ob alle betroffenen Elektroverteiler ausreichend dokumentiert sind. War das nicht der Fall, mussten wir sie über eine Bestandsaufnahme nachvollziehen. Erst dann konnten wir entscheiden, welche Leitungen überwacht werden sollten und welche nicht.“ Die Installation an sich war laut Armin Muratovic einfach durchzuführen. Damit eine so umfangreiche Installation übersichtlich bleibt und die Messkabel schnell angeschlossen werden können, enthält das BCM-System Breakout-Kabel mit jeweils fünf oder zwölf Verbindungen.
Leistungsmessung: kaskadierbar und platzsparend
Die Leistungsmessmodule werden über einen Controller angesteuert, der sich per Web-Oberfläche bedienen und konfigurieren lässt und zahlreiche Kommunikationsschnittstellen besitzt. Dazu zählt zum Beispiel auch ein zusätzlicher Sensor-Port, an den der Anwender beispielsweise einen Temperatur- oder Luftfeuchtesensor anschließen kann. In diesem Fall integriert der Controller das BCM-System per TCP/IP, Modbus und SNMP in das IBN-Überwachungssystem. Ein Controller kann bis zu 70 nach dem Daisy-Chain-Prinzip angeschlossene PMM-1000-Module allein zur Überwachung von Hauptstromkreisen ansteuern oder maximal acht Gespanne aus PMM-1000- und PMB-1960-Modulen. In der Zentralleitstelle sind dazu zwei, in der Fallback-Leitstelle drei Controller im Einsatz.
Ausfallsicherheit hat oberste Priorität
Zur Erhöhung der Ausfallsicherheit werden auch die redundant ausgelegte Online-USV sowie das Dieselaggregat mit diesen Leistungsmessern überwacht, obwohl das IGM-System von Paxner auch die von der USV generierten SNMP-Daten erhält sowie die Modbus-Daten vom Dieselaggregat. Die eingegebenen Schwellwerte sind so ausgelegt, dass das BCM-System frühzeitig eine Warnmeldung ausgibt, damit das Wartungspersonal proaktiv handeln kann.
Die Überwachungssoftware IGM zeigt in übersichtlichen Diagrammen und Dashboards auf einem 24-Zoll-Touchmonitor sowie über Reports den Zustand der Stromversorgung an. Für die Bedienung vor Ort werden die Messdaten über Touchscreen-Monitore sowie Webseiten aufbereitet und zur Verfügung gestellt. Die Lösung läuft auf einem separaten LAN und ist strikt getrennt vom IT-Netz der Leitwache.
Frühzeitiger Alarm verhindert Ausfälle
Seit seiner Inbetriebnahme hat das IGM schon zweimal größeren Schaden verhindern können. Einmal stellte sich bei Umbauten an einem Elektroverteiler hinter der USV heraus, dass sich Stromschienen gelockert haben. Doch noch bevor der Leistungsschutzschalter ausgelöst wurde, was einen Ausfall dieses Segments bedeutet hätte, hat das IGM einen optischen und akustischen Alarm ausgegeben. Zugleich informierte das System die diensthabenden Administrator*innen auf seinem Administrator*innen-Monitor sowie per E-Mail darüber, welche Komponenten betroffen sind und welche Grenzwerte überschritten wurden. Diese Informationen werden auch auf dem Display am Elektroverteiler zur Verfügung gestellt. So konnte das Wartungspersonal die Ursache sofort identifizieren und beheben.
Beim zweiten Ereignis zog in einer Mitarbeiter*innen-Küche der eingebaute Herd plötzlich erheblich mehr an Leistung, blieb dabei aber noch unter dem Schwellwert des Leistungsschutzschalters. Auch hier gab das IGM einen Alarm aus. So konnte der defekte Herd außer Betrieb genommen werden, bevor es überhaupt zu einem Ausfall oder gar zu einem Schwelbrand kommen konnte.
Belegbare Ausfälle des Speisenetzes
Darüber hinaus ermöglicht die kontinuierliche Messung der Verbrauchswerte eine durchgängige Dokumentation des Einspeisestroms. So konnte die Magistratsabteilung MA70 damit auch einmal einen etwa halbstündigen Ausfall einer Netzeinspeisung nachweisen. Aus dem Report zu diesem Tag geht genau hervor, wann die Stromzufuhr abbrach und die USV übernahm, während das Dieselaggregat anlief und den Betrieb dann weiter übernommen hat. Genauso ist dokumentiert, ab wann das Netz des Energieversorgers wieder in Betrieb war und das Dieselaggregat sich abgeschaltet hat. Solche Aufzeichnungen kürzen jede Diskussion über Zuständigkeiten erheblich ab.
Fazit
Das BCM-System bietet eine einfache Lösung, um den Stromverbrauch an einer beliebigen Stelle im Versorgungsnetz zu erfassen. Die einzelnen Module sind äußerst kompakt und bieten eine sehr hohe Anschlussdichte. Die Controller-Software basiert auf Standardschnittstellen und lässt sich so gut in das Physical Security Information Management Systems IGM von Paxner einbinden. Der Auftragnehmer Lohr sorgte mit seiner Expertise in den Bereichen MS&R, Gebäudeleit- und Sicherheitstechnik dafür, dass alle relevanten Messstellen des Versorgungsnetzes in diesem Überwachungssystem abgebildet sind. Der Projektleiter Armin Muratovic war bei der Einführung begeistert, wie schnell die Anwender das System verstanden haben und sofort effizient nutzen konnten.
Die Magistratsabteilung MA70 arbeitet bereits seit 2007 mit Lohr Nachrichtentechnik zusammen. Schon vor Jahren hat das Unternehmen die vorhandene Lösung zur Tourenalarmierung zu einem Einsatzmanagementsystem (EMA) erweitert und zog Paxner hier beim weiteren Ausbau hinzu. Dieses System erleichtert die Arbeitsprozesse bei der Blaulichtorganisation durch optische (Lampen oder Monitore) und akustische (Lautsprecher) Hilfsmittel. Schon damals mussten Systeme wie die Garagentor- und Ampelsteuerung, der Dieselaggregat sowie die USV in das System integriert werden. Heute sind auch die Lichtsteuerung und das beschriebene IGM-System zur Überwachung der Energieversorgung darin integriert.
Derzeit ist Lohr dabei, EMA an allen Rettungsstationen der Stadt Wien zu installieren, miteinander zu vernetzen und an den Hauptleitstand anzubinden. So können die Rettungsfahrzeuge künftig an den jeweils betroffenen Standorten automatisiert alarmiert werden. Das geht zum einen erheblich schneller und effizienter als telefonisch und entlastet zudem die Disponent*innen des Hauptleitstandes, die sich sofort um den nächsten Notruf kümmern können.