Modernisierung Stromnetz : Digitale Revolution im Umspannwerk

Grundlage für die Planung des neuen Umspannwerks ist ein Digitaler Zwilling.

Grundlage für die Planung des neuen Umspannwerks ist ein Digitaler Zwilling.

- © Eplan

Netzbetreiber stehen vor einer Mammutaufgabe. Sie müssen ihre Netze für zunehmend komplexere Anforderungen fit machen. Für Naturenergie Netze gehören dazu Neubau und Modernisierung von Umspannwerken. Diese müssen flexibler werden, was Energiequellen und -flüsse sowie die Steuerung des Stroms betrifft.

Mit einem digitalen Konzept geplant und modernisiert wird der Umbau des Umspannwerkes Rheinfelden. Rainer Beck, Koordinator Netzentwicklung: „Bevor wir in die Planung gehen, erstellen wir einen Digitalen Zwilling des Umspannwerks mit allen Daten für die stromführenden Komponenten, die Steuerungsebene und die Gebäude mit der gesamten Peripherie.“

Diese Aufgabe ist auch deshalb anspruchsvoll, weil Primär- und Sekundärtechnik mit unterschiedlichen CAD-Software-Tools geplant werden. Lösbar wurde sie dadurch, dass sich zwei führende Anbieter – Entegra mit der Software-Lösung Primtech für die Primärtechnik und Eplan für die Sekundärtechnik – im Arbeitskreis „Digitale Zwillinge für elektrische Energiesysteme“ auf eben das vorbereitet hatten: auf die Zusammenführung von Primär- und Sekundärtechnik in einem einheitlichen Modell.

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Deutlicher Effizienzgewinn durch digitalen Zwilling

Erneuert wird die gesamte Sekundärtechnik in einem vorhandenen und sehr komplexen Umspannwerk – und das bei laufendem Betrieb. „Die Planung und Umsetzung der Modernisierung würde normalerweise zwei bis drei Jahre dauern. Mit der neuen Planungsmethodik wird es deutlich schneller gehen“, ist Beck überzeugt.

Matthias Schuy, Business Development Manager bei Entegra: „Was wir hier umsetzen, ist bisher einzigartig und verspricht großen Nutzen.“ Bereits nach der ersten Projektphase der Vorplanung zeichnet sich eine deutliche Zeiteinsparung und damit rasche Amortisation des nun getätigten Einmal-Aufwands ab.

In einem ersten Schritt wurde das Umspannwerk gescannt, die Typenschilder wurden fotografiert und die erzeugten Primärtechnik-Daten mit denen aus dem Asset-Management-System abgeglichen. Als Ergebnis entstand ein valides, funktionales 3D-Modell des Umspannwerks in Primtech.

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Bereits nach der ersten Projektphase der Vorplanung zeichnet sich eine deutliche Zeiteinsparung und Amortisation des Einmal-Aufwands ab.
Rainer Beck, Naturenergie Netze

Die in Primtech erstellten Datensätze wurden dann über eine Schnittstelle vollautomatisch nach Eplan exportiert. Darauf basierend wurde die Sekundärtechnik in Eplan geplant. Abschließend wurden die Daten aus der Sekundärtechnik in den Digitalen Zwilling integriert. 

Diese Arbeiten sind nahezu abgeschlossen. Mit der Dokumentation des Ist-Zustands wurde die Basis für den effizienten Austausch der Sekundärtechnik des Umspannwerks gelegt. „Alle Daten sind verifiziert. Grundsätzlich wird das Prinzip ‚Single Source of Truth‘ beachtet. Dabei bleiben die Daten in den ursprünglichen Systemen unangetastet und werden mit dem Digitalen Zwilling verknüpft“, erklärt Jan Oliver Kammesheidt, Global Vertical Market Manager Energy bei Eplan. „So lassen sich Redundanzen vermeiden, die zukünftig problematisch werden könnten.“ An zentraler Stelle bietet der Digitale Zwilling Zugriff auf alle relevanten Informationen des Umspannwerks.   

Jan-Oliver Kammesheidt (Eplan): „Was wir hier erarbeiten, werden viele Verteilnetzbetreiber für Um- und Neubauprojekte ihrer Umspannwerke nutzen.“
Jan-Oliver Kammesheidt (Eplan): „Was wir hier erarbeiten, werden viele Verteilnetzbetreiber für Um- und Neubauprojekte ihrer Umspannwerke nutzen.“ - © Eplan

Die Sekundärtechnik von Steuerungs- bis Schaltanlagen wird mit der 3D-Planungssoftware von Eplan modernisiert.

- © Eplan

Sekundärtechnik standardisieren

Vor mittlerweile zwei Jahren führte Naturenergie Netze die Eplan-Softwarelösungen Electric P8 und Eplan Pro Panel für die Planung der Steuerungstechnik ein. Simon Rümmele, Projektleiter Netzentwicklung: „Mit Eplan können wir die Standardisierung und ein effizienteres Engineering der Sekundärtechnik vorantreiben, sowie eine durchgängige Planung, die wir auch im Betrieb für die vorbeugende Instandhaltung und für Revisionen nutzen können.“ 

Das Projekt zeigt: Die Anwender in der Elektrizitätswirtschaft profitieren von den Erfahrungen und Lösungen aus dem Maschinenbau. Dort ist die Standardisierung und „Industrialisierung“ der Steuerungs- und Schaltanlagentechnik fest etabliert.

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Bei Umspannwerken steht dieser Schritt vielfach noch aus, aber er muss kommen. Kammesheidt: „Bisher wurden Umspannwerke individuell geplant und als Unikate wie in einer Manufaktur gebaut. Damit ist der Bedarf an Modernisierungen und Neubauten, den die Energiewende bedingt, aber nicht darstellbar.“ Die Branche müsse daher deutlich mehr standardisieren als bislang. „Mit dem gemeinsamen Digitalen Zwilling für Primär- und Sekundärtechnik beschleunigen wir den Prozess erheblich und machen ihn zugleich sicherer.“

Vom Projekt profitieren werden nicht nur die Naturenergie Netze. „Die Verteilnetzbetreiber tauschen sich offen aus, weil sie nicht im Wettbewerb stehen“, weiß Kammesheidt. „Was wir hier erarbeiten, werden viele für Um- und Neubauprojekte nutzen. Das Interesse ist groß.“

In die nähere Zukunft blickt Rainer Beck: „Wir können uns vorstellen, im 110-kV-Bereich zwei Standardkonzepte und -gebäude zu nutzen, auf deren Basis wir Varianten bilden. Daran arbeiten wir mit den zentralen Primärzulieferern.“ Auch damit werden Zeit und Planungsaufwand gespart. „Und das müssen wir, denn wir werden gezwungen sein, einen Großteil unserer Umspannwerke an die veränderten Anforderungen anzupassen.“