Längeres Leben für Windkraft : Müssen Windkraftanlagen nach 20 Jahren stillgelegt werden?

Vielen Windkraftanlagen in ganz Europa droht das Aus. Das muss nicht sein – Strukturüberwachung sei Dank!

Vielen Windkraftanlagen in ganz Europa droht das Aus. Das muss nicht sein – Strukturüberwachung sei Dank!

- © pespiero - stock.adobe.com

In Deutschland müssen ohne eine Verlängerung der Betriebsgenehmigung in den nächsten Jahren etwa 12 Gigawatt installierter Windkraft-Leistung vom Netz genommen werden – fast ein Drittel der gesamten Kapazität. Die Kapazität in Österreich beträgt vergleichsweise bescheidene 3.500 Megawatt, aber auch hierzulande erreichen immer mehr Anlagen das kritische Alter. Mithilfe von „Structural Health Monitoring“ (SHM) lässt sich die Lebensdauer in vielen Fällen verlängern. Hinter dem Begriff steckt die Überwachung des Zustands von Turm und Fundamenten einer Anlage.

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Wirtschaftlicher Weiterbetrieb von Windkraftanlagen

Mit Erreichen der in der Typenprüfung festgelegten Lebensdauer erlischt die Betriebserlaubnis einer Turbine. Für Betreiber stellt sich damit die Frage: Was tun? Ersatzlos abbauen oder eine neue Anlage errichten, idealerweise mit einer inzwischen verfügbaren höheren Leistung – Stichwort: Repowering? An den wenigsten Standorten wird dies jedoch möglich sein.

Ambitionierte Klimaschutzziele erfordern überdies den raschen Umbau der Energieversorgung auf erneuerbare Quellen. Damit spielt die nachhaltige Nutzung vorhandener Erzeugungskapazitäten eine immer größere Rolle. Zwar steigt dadurch die Wahrscheinlichkeit ermüdungsbedingter Schäden, aber oftmals haben die Anlagen noch Lebensdauerreserven. Wenn Daten aus einem CMS (Condition Monitoring System) vorliegen, kann der Betreiber im Rahmen einer sogenannten „Life Time Extension“ (LTE), zu Deutsch: Verlängerung der Lebensdauer, seine Anlagen in vielen Fällen länger betreiben.

Die Montage von Sensorik zahlt sich aus. SHM-Messungen wirken meist lebensverlängernd für Windanlagen.
Die Montage von Sensorik zahlt sich aus. SHM-Messungen wirken meist lebensverlängernd für Windanlagen. - © Bachmann
Wir berechnen die Restnutzungsdauer der Anlagenkomponenten und beurteilen Risiken für den Maßnahmenplan.
Matthias Saathoff, P. E. Concepts

Gutachten zum Weiterbetrieb

Für den Weiterbetrieb einer Anlage über den in der Auslegung beschriebenen Zeitraum braucht es eine Genehmigung. Das dazu notwendige Gutachten, die „Bewertung und Prüfung auf Weiterbetrieb“ (BPW), wird von akkreditierten Sachverständigen durchgeführt und setzt sich aus zwei Teilen zusammen:

  • Der praktische Teil entspricht im Grunde der bereits während des Betriebs regelmäßig durchgeführten „Wiederkehrenden Prüfung“ (WKP).
  • Den analytischen Teil steuern Spezialist*innen wie das Bachmann-Partnerunternehmen P. E. Concepts bei.

„Wir berechnen die Restnutzungsdauer der wesentlichen Anlagenkomponenten, beurteilen Risiken und unterstützen die Sachverständigen beim Erstellen eines Maßnahmenplans“, erklärt Matthias Saathoff, Team Lead Loads & Lifetime Extension bei P. E. Concepts. Ein Weiterbetriebsgutachten ist die Basis für einen Antrag Verlängerung der Betriebsgenehmigung bei der jeweiligen Behörde.

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Der 3D-MEMS-Beschleunigungssensor misst Strukturschwingungen.
Der 3D-MEMS-Beschleunigungssensor misst Strukturschwingungen. - © Bachmann

Die analytische Bewertung nimmt Unsicherheiten in Kauf. Design- und Sicherheitsreserven führen daher zu einer verkürzten Restlebensdauer.

- © P.E. Concepts

Beurteilung des Zustands einer Windkraftanlage

Im analytischen Teil der BPW können Sachverständige mithilfe von Daten nachweisen, ob eine Komponente weniger Last erfahren hat, als bei ihrer Auslegung angenommen wurde. Liegen solche Daten nicht vor, müssen die standortspezifischen Lasten seit Inbetriebnahme auf Grundlage der Windverhältnisse und der verfügbaren Informationen unter Anwendung hoher Sicherheitsfaktoren zum Beispiel aus dem SCADA-System ermittelt werden. Obwohl dieser konservative Ansatz oftmals einen Weiterbetrieb unter Einhaltung von Auflagen ermöglicht, bleiben Potenziale für eine verlängerte Restlebensdauer meist ungenutzt, beispielsweise durch den Austausch von Komponenten und wiederkehrende Inspektionen.

Diese Potenziale möchte Bachmann zusammen mit Gutachtern durch eine Messdaten-gestützte, analytische Bewertung heben – unter Verwendung tatsächlich gemessener Lastdaten anstelle geschätzter standortspezifischer Lasten. Die Verwendung von Messwerten aus CMS und SHM ermöglicht einer Ermittlung der verfügbaren Restlebensdauer mit deutlich weniger konservativen Annahmen. Saathoff: „Anhand externer Bedingungen und Betriebsbedingungen der Anlage selbst berechnen wir Lasten und leiten die Ermüdung von Bauteilen sowie daraus die rechnerische Restnutzungsdauer ab.“

Liegen Messdaten zur Belastung der Struktur vor, können Unsicherheiten reduziert werden, was eine weniger konservative Berechnung der Restlebensdauer zulässt.

- © P.E. Concepts

Restnutzungsdauer errechnen

Die externen Bedingungen werden auf Basis statistischer Größen berechnet, die unter anderem aus Betriebsdaten der Anlage (zum Beispiel Richtungs- und Häufigkeitsverteilungen der Windanströmung sowie Turbulenzintensitäten) abgeleitet werden. Die in der Typenprüfung vom Hersteller eingerechneten Reserven werden zum Teil von Normen gefordert, fangen aber auch Toleranzen im Design der Anlage ab. Im Idealfall sind die Lasten am Standort kleiner als in der Typenprüfung zugrunde gelegt, woraus sich eine Restnutzungsdauer ergibt.

Ziel der Lifetime Extension (LTE) ist es, die einkalkulierten Sicherheitsfaktoren durch Messdaten-gestützte Betrachtung zu reduzieren und vorhandene Design-Reserven optimal zu nutzen. Hier kommt die Erfassung von Lastmessdaten mittels CMS und SHM ins Spiel. Idealerweise wird die erforderliche Sensorik bereits bei der Anlagenerrichtung installiert. Aber auch durch Nachrüstung lassen sich lebensverlängernde Potenziale besser ausschöpfen.

Ein triaxialer Beschleunigungsaufnehmer liefert Signale zur Beurteilung von Rotorblatt-Unwuchten, zur Überwachung des Strukturzustands und zur Bewertung der Eigenfrequenz von Türmen. Ein Cantilever-Sensor erfasst Lasten an den Turm- und Gründungsstrukturen. Nach der Datenerfassung geht es mit Software-Unterstützung an die Weiterverarbeitung. Mittels Rainflow-Zählverfahren etwa werden schadensäquivalente Lasten ermittelt.

„Je präziser die Grundlagen sind, auf die sich Sachverständige stützen, umso einfacher und zuverlässiger sind Potenziale zu identifizieren“, so der Bachmann-Experte Saathoff. „Structural Health Monitoring liefert dabei einen entscheidenden Mehrwert.“

Turbine, Triebstrang, Turm, Gründung und Rotor – das sind die Komponenten, an denen sich die Betriebsparameter einer Windanlage überwachen lassen.
Turbine, Triebstrang, Turm, Gründung und Rotor – das sind die Komponenten, an denen sich die Betriebsparameter einer Windanlage überwachen lassen. - © Bachmann
Je präziser die Grundlagen sind, auf die sich Sachverständige stützen, umso einfacher sind Potenziale zur Verlängerung der Lebensdauer zu identifizieren.
Matthias Saathoff, P. E. Concepts

Leichtes Lüfterl

Mit 16,2 Gigawatt Windkraftausbau verzeichnete die EU-27 im Vorjahr einen neuen Rekord. Für die Erreichung der EU-Ziele muss der Ausbau jedoch in den kommenden Jahren verdoppelt werden, flankiert von lebensdauerverlängernden Maßnahmen für den Bestand an Windrädern. Und Österreich liegt mit einem Windstromanteil von 14 Prozent unter dem europäischen Schnitt.

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Angetrieben wurde der zuletzt beschleunigte Ausbau von einem wiedererstarkten Markt in Deutschland, wo 3,9 GW errichtet wurden. Musterschüler seit Jahren ist Schweden, dort kamen 2023 weitere 2 GW hinzu. Inklusive Niederlande und Frankreich vereinen nur vier europäische Staaten rund zwei Drittel des EU-weiten Ausbaus auf sich. „Trotz Rekordzuwachs – für die Zielerreichung muss der Ausbau nochmals doppelt so hoch ausfallen“, kommentiert WindEurope-Geschäftsführer Giles Dickson.

Österreich konnte den Ausbau im Vorjahr mit 70 Windrädern und einer Leistung von 0,331 GW zwar deutlich steigern, erreicht damit aber lediglich Rang 11 unter den EU-27. „Zudem weist die Prognose für 2024 mit 0,124 Gigawatt klar in die falsche Richtung“, so IG-Windkraft-Geschäftsführer Stefan Moidl. Den Grund dafür ortet er in der Stop-and-Go-Politik der Vergangenheit.

Stefan Moidl
Stefan Moidl, Geschäftsführer von IG Windkraft - © Astrid Knie