Ökobüro : Fünf Leitlinien für raschen und naturverträglichen Stromnetzausbau
Der Ausbau der erneuerbaren Energien als Reaktion auf die Klimakrise erfordert eine rasche Verstärkung des Stromnetzes. Der Neubau von Stromleitungen kann jedoch erhebliche Auswirkungen auf die Natur haben. Ökobüro – Allianz der Umweltbewegung hat daher einen Stakeholder-Prozess gestartet, um den Ausbau des Stromnetzes sowohl naturverträglich als auch rasch umzusetzen. „Wir erleben aktuell eine globale Zwillingskrise, die Erderhitzung und zugleich ein massives Artensterben. Wir können es uns nicht leisten, uns nur auf die Lösung einer der beiden Krisen zu konzentrieren“, plädiert Ökobüro-Geschäftsführer Thomas Alge.
Spannungsfeld Klima- vs. Naturschutz
Remo Probst, Vogelschutzexperte von BirdLife Österreich, wies in seiner Keynote etwa darauf hin, dass Stromleitungen zu einer tödlichen Gefahr für Vögel werden können. Auch wenn sich die Zahl der getöteten Vögel durch für diese gut sichtbare Markierungen um 80 bis 90 Prozent verringern lässt, sollte vor dem Bau einer neuen Leitung stets die Frage gestellt werden, ob diese überhaupt benötigt werde.
In einer anderen Keynote zu den Herausforderungen des Stromnetzausbaus verwies Wolfgang Hafner vom österreichischen Übertragungsnetzbetreiber Austrian Power Grid auf teils lange Verfahrensdauern bei der Genehmigung neuer Stromleitungen. Da bis 2030 in Österreich 100 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energiequellen kommen sollen, müsse die jährliche Stromerzeugung um 27 Terrawattstunden anwachsen und die Kapazität des Stromnetzes synchron dazu steigen. Hafner forderte daher Maßnahmen zur Beschleunigung der Verfahren, wie etwa Änderungen im Verwaltungsrecht und mehr Ressourcen für die Behörden.
Reinhard Uhrig, Leiter der politischen Abteilung und Presse bei Global 2000 und Vorstandsmitglied von Ökobüro möchte die Stromnetze insgesamt weniger stark ausbauen: Er forderte, dass Österreich seinen Gesamtenergieverbrauch bis 2030 um 30 Prozent und bis 2050 um 50 Prozent senken müsse: „Durch die Elektrifizierung von Verkehr, Wärmeversorgung und anderer Sektoren, die heute noch weitgehend mit der Verbrennung fossiler Energie arbeiten, wird der Stromverbrauch auf jeden Fall ansteigen. Durch Einsparungen beim Energieverbrauch können wir diesen Anstieg aber zumindest begrenzen.“
Leitlinien als Diskussionsgrundlage
Zur Lösung dieses Spannungsfelds zwischen Netzausbau für den Klimaschutz und Naturschutzinteressen stellte Ökobüro fünf gemeinsam mit seinen Mitgliedsorganisationen entwickelte Leitlinien den mehr als 40 anwesenden Stakeholdern aus Energiewirtschaft, Verwaltung, Umweltschutzorganisationen und Bürgerinitiativen zur Diskussion.
Energieverbrauch bis 2030 um 30 Prozent reduzieren, bis 2050 um 50 Prozent: Der Stromverbrauch wird steigen, da viele bis jetzt fossil betriebene Sektoren (KFZ-Verkehr, Heizen, Industrie) zukünftig primär elektrisch arbeiten werden. Daher ist es notwendig, den Gesamtenergieverbrauch zu senken, um den Ausbau der Stromnetze im Rahmen des Notwendigen zu halten.
Öffentlichkeit frühzeitig einbinden und Verfahren stärken: Einbindung der Öffentlichkeit in die Strategische Umweltprüfung (SUP) zum neuen integrierten österreichischen Netzinfrastrukturplan (ÖNIP), bei der Alternativenprüfung auf regionaler Ebene und bei der Festlegung der zu prüfenden Umweltauswirkungen (Scoping). Das soll Grundsatzfragen – wie Bedarf an Leitungen oder Entscheidung über Freileitung oder Erdverkabelung – frühzeitig außer Streit stellen und die darauffolgenden Umweltverträglichkeitsprüfungen (UVP) entlasten.
Rechtlichen Rahmen für Strategische Umweltprüfung (SUP) konkretisieren: Derzeit fehlen konkrete und einheitliche Vorgaben für ÖNIP und SUP. Vor allem müssen beide als verbindlich für die darauf aufbauenden Planungen und Genehmigungsverfahren festgelegt werden, um Rechtssicherheit herzustellen und die Verfahren rasch durchführen zu können.
Minimierungsgebot verankern: Bei der Erstellung des ÖNIP soll als leitendes Prinzip gelten, dass Natur und Biodiversität so wenig wie möglich beeinträchtigt werden. So sollten wann immer möglich bestehende Stromtrassen für stärkere Leitungen verwendet werden, bevor neue errichtet werden.
Verbindliche Standards schaffen: Klare ökologische, ökonomische und technische Entscheidungsstandards sollen UVP-Verfahren von Grundsatzfragen entlasten, etwa Kriterien für Ein- bzw. Ausschluss von Erdkabeln oder Grenzwerte für Elektromagnetismus.
Ökobüro will die Ergebnisse aus den Stakeholder-Rückmeldungen in seine Leitlinien einarbeiten und diese dann in die politische Debatte um den Ausbau des Stromnetzes einbringen. Große Übereinstimmung bei den Anwesenden zeigte sich vor allem bei der Forderung nach verbindlichen Standards und auch dabei, dass der Gesamtenergieverbrauch sinken müsse, damit der Stromverbrauch nicht zu stark ansteige. Weiterer Diskussionsbedarf zeigte sich vor allem in Detailfragen, wie bei der Ausgestaltung der SUP.