Kari Kapsch und Peter Reichel im Interview : „Image der Elektrotechnik nicht das ist, was es sein sollte"

Studie belegt Personal-Notstand

Angesichts einer aktuellen Studie sieht der Österreichische Verband für Elektrotechnik (OVE) die Energiewende, aber auch den österreichischen Wirtschaftsstandort in Gefahr. Denn alleine in der Energiewirtschaft fehlen aktuell bis zu 2.000 Fachkräfte, in der gesamten Branche der Elektrotechnik und Informationstechnik sind es laut Industriewissenschaftlichem Institut sogar bis zu 13.800.

Somit kann derzeit jede vierte Stelle nicht besetzt werden – Tendenz steigend. OVE-Präsident Kari Kapsch und Generalsekretär Peter Reichel blicken kritisch auf die Lage – ein konstruktives Gespräch über Lösungsansätze für einen branchenweiten Notstand.

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OVE-Präsident Kari Kapsch: „Im naturwissenschaftlichen Unterricht fehlt oftmals die Verbindung zum wirklichen Leben."

- © OVE/Fürthner

Gründe für den Fachkräftemangel und Gegenmaßnahmen

Elektropraxis@Punktum: Sie haben als OVE kürzlich Alarm geschlagen, weil der Elektro- und Informationstechnik die Fachkräfte fehlen. Welche Gründe sehen Sie für diesen Mangel?

Kari Kapsch: Hinter den Zahlen stehen natürliche Phänomene, mit denen wir konfrontiert sind. Wir tauchen aktuell in eine Zeit hinein, in der mehr Leute in Pension gehen, als in die Arbeitswelt nachrücken. Wir spüren das Ende der Baby-Boomer-Generation. Das ist der eine Faktor. Der zweite Faktor ist der Wunsch nach Teilzeitjobs.

Wir haben in der Industrie und in der gesamten Wirtschaft mittlerweile die Situation, dass wir dort, wo früher drei Arbeitskräfte ausreichend waren, mittlerweile vier brauchen, um die Zeiten auf neue Köpfe umzulegen. Dann gibt es noch ein Phänomen, das unsere Branche zwar nicht so sehr trifft, aber erwähnt werden sollte. Viele Leute haben Österreich in der Corona-Phase wieder verlassen. Wir haben also einen extremen Mangel an Arbeitskräften aus dem Ausland, die dem österreichischen Arbeitsmarkt früher zur Verfügung gestanden sind.

Wie setzen Sie sich als Branchenverband dafür ein, diese Lücke an Fachpersonal zu schließen?

Kapsch: Wir initiieren als OVE eine große Kampagne, an der auch der Fachverband der Elektro- und Elektronikindustrie, Oesterreichs Energie, das Bundesgremium des Elektro- und Einrichtungsfachhandels und die Bundesinnung beteiligt sind. Hier wird wirklich viel Geld in die Hand genommen, um so ab dem Herbst Schülerinnen und Schüler zu attrahieren. Es betrifft aber alle Ausbildungsebenen. Also von der Lehre weg über die HTLs, über die Fachhochschulen und natürlich auch die Technischen Universitäten.

Peter Reichel: Es ist unser Wunsch, mit dieser Imagekampagne Interesse zu wecken. Wir wollen die Elektrotechnik für alle, die aktuell im Schulwesen sind, auch tatsächlich als kreatives, zukunftsorientiertes, interessantes Berufsbild verankern. Das größte Missverständnis ist immer noch die Einschränkung der Elektrotechnik. Dem Großteil der Bevölkerung ist nicht bewusst, was sich hinter der Elektrotechnik alles verbirgt. Wir wollen die Breite dieses Feldes darstellen, weil dort für jede und jeden etwas dabei ist.

>> Den Fachkräftemangel in der Gebäudetechnik hat unser Schwestermagazin TGA hier detailliert für Sie aufbereitet.

Wenn ich mir die Elektrotechnik vor 50 Jahren und heute anschaue, sind da technologische Welten dazwischen.
Kari Kapsch, OVE

Neuer Anstrich für Green Jobs in der Elektrotechnik

Sie wollen den Berufsbildern der Elektrotechnik also einen neuen Anstrich verpassen?

Kapsch: Ja. Wir haben quer durch die Gesellschaft das Problem, dass das Image der Elektrotechnik heute eigentlich nicht das ist, was es sein sollte. Daran sind wir schuld, wir müssen einfach anfangen, dieses Berufsbild, diese Sparte, dieses Segment in der Technik moderner darzustellen. Denn was stellt man sich unter Elektrotechnik vor? Die meisten sehen einen Schaltschrank mit irgendwelchen Relais oder einem Trafo vor sich, bestenfalls einen Elektromotor.

Wir schaffen es aber nicht, neue Themen in diese Überschrift hineinzubringen. Die spannenden Themen einer Quanten-Elektronik im Bereich der Halbleiter, der Wandel im gesamten Energiesystem. Dabei geht es da um die Digitalisierung der ganzen Netze und aller Netzebenen. Wir sprechen von einer riesigen Digitalisierungstangente, die hinter der klassischen Elektrotechnik steht, und das müssen wir der Jungend vermitteln, indem wir die Modernität in diesem Berufsbild klar machen. Wenn ich mir die Elektrotechnik vor 50 Jahren und heute anschaue, sind da technologische Welten dazwischen.

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© Jonas - stock.adobe.com

Wege in die Elektrotechnik: Die Lehre

In die Berufswelt der Elektrotechnik führen viele Ausbildungswege. Beginnen wir mit der Lehre – wie gestaltet sich die Lage dort aktuell? Welche Probleme gibt es zu beheben?

Kapsch: In der Lehre nehmen die Zuläufe erfreulicherweise sogar zu. Auch im Bereich der Elektronik und Elektrotechnik. Allerdings zu wenig, weil – und das sieht man in den Zahlen – der Bedarf schneller steigt als der Zuwachs im Nachwuchsbereich. Da geht es natürlich, auch massiv darum, die Mädchen zu motivieren, auch in diese technischen Berufsbilder hineinzugehen. Das wird Schritt für Schritt besser, aber nur sehr langsam.

Wir sehen, wenn man sich bemüht und es Mädchen ermöglicht, Elektrotechnik anzugreifen, zu probieren, dann sind sie extrem motiviert. Aber das Kernthema ist, dass die Familien zu Hause ihre Kinder – und da vor allem Mädchen – nach wie vor viel zu wenig motivieren, in die Technik zu gehen. Dort, wo wir aufsetzen können ab dem Kindergarten oder der Volksschule, ist es in Wahrheit schon sehr oft zu spät. In der Lehre wird im Übrigen gerade der Bildungsplan für die Elektroausbildung überarbeitet und modernisiert. Es dauert leider noch, aber wir sind dran.

OVE-Generalsekretär Peter Reichel: „Mittels groß angelegter Imagekampagne wollen wir Interesse an der Elektrotechnik wecken."

- © OVE/Fürthner
So wie es eine Sportwoche gibt, könnte man auch eine Technikwoche in der Schule einführen.
Peter Reichel, OVE

Wege in die Elektrotechnik: AHS & BHS

Können Sie Ähnliches von den höheren technischen Lehranstalten berichten?

Kapsch: Bei den HTLs schaut es im Großen und Ganzen gut aus, natürlich nach wie vor mit dem Problem, dass es zu wenig Frauen gibt. Gleiche Ursache, gleiche Gründe. Dort haben wir ein anderes Problem. Dort müssen wir schauen, dass die Lehrpläne aktualisiert werden. Da hinken wir hinten nach. Wir haben mit dem langen Zyklus des Akkreditierens der einzelnen Lehrpläne das Problem, dass die Durchlaufzeit einer Änderung länger dauert als die Entwicklung der Technologie mittlerweile. Dieser Prozess der Anpassung dessen, was wir in der Wirtschaft brauchen und wie man das umsetzt, das muss einfach viel, viel schneller werden.

Wie könnte man AHS-Schülerinnen und -Schüler die Elektrotechnik schmackhaft machen?

Kapsch: Was in die AHS und sogar die neuen Mittelschulen hineinwirkt ist, dass wir dort eine sehr geisteswissenschaftliche Orientierung haben, die grundsätzlich nicht schlecht ist. Aber auf der anderen Seite haben wir in den Unterstufen dort keine Motivation im Lehrplan, die Schülerinnen und Schüler Richtung Technik zu führen. Ja, es gibt dort Naturwissenschaft, es gibt Mathematik. Aber wir alle wissen, wie spannend dieser Mathematikunterricht ist. Bei der Physik ist auch immer fraglich, ob sie an den Themen dran ist, die eigentlich notwendig sind.

Wir müssen es irgendwie schaffen, in diesen vorhandenen Unterrichtsfächern mehr allgemeine Technik und spannende Dinge für die Jugend hineinzubringen, gerade wenn es um Digitalisierung oder neue Energietechniksysteme geht. Wir lernen bis zum Abwinken, wie ein Trafo funktioniert und wie man den berechnet. Aber es fehlt die Verbindung zum wirklichen Leben und ich glaube, diese Verbindung zum wirklichen Leben ist der motivierende Faktor für die Schülerinnen und Schüler. Das heißt, man muss auch schauen, dass die Lehrkräfte am neuesten Stand bleiben.

Reichel: Ich glaube, es ist wichtig, dass Begriffe im Rahmen der Schulausbildung in irgendeiner Weise positiv besetzt werden. Sonst können Schülerinnen und Schüler mit Begriffen, die sie nicht kennen, erfahrungsgemäß nicht viel anfangen. Was ganz besonders fehlt, ist der Praxisbezug. Es würde sehr viel helfen, wenn wir in der Schule ein Fach hätten, in dem Schülerinnen und Schüler wirklich mit Technik konfrontiert werden, wo sie selbst ausprobieren können, Erfahrungen sammeln und ihren Erlebnishorizont erweitern. So wie es eine Sportwoche gibt, könnte man auch eine Technikwoche in der Schule einführen.

Wir haben im Bereich der Elektrotechnik extrem rückläufige Zahlen.
Kari Kapsch, OVE

Wege in die Elektrotechnik: FHs und Universitäten

Die nächste Ausbildungsebene wäre somit die universitäre. Wie steht es um die Elektrotechnik an den Fachhochschulen?

Kapsch: Die Fachhochschulen sind ein System, das sich extrem gut etabliert hat. Das sieht man auch laufend an den steigenden Zahlen, vor allem in Wien. Dort gibt es eine sehr enge Verzahnung zwischen Bildung und Wirtschaft. Es ist auch ein System, das gut aufgebaut und aufbereitet ist. Ein Problem gibt es allerdings. Wir haben bei der Fachhochschule die Situation, dass die Studienplatz-Kontingentierung, wie vieles in Österreich, föderalisiert ist. Das heißt, die einzelnen Fachhochschulen kriegen in den Bundesländern die Kontingente für die Studienplatzfinanzierung.

Die Konsequenz daraus ist aber, dass Fachhochschulen je weiter westlich sie sind – und das fängt durchaus schon in Oberösterreich an – die Studienplätze teilweise nicht füllen können. Sprich, es bleibt Geld liegen und wird nicht konsumiert. Auf der anderen Seite haben wir in Wien zu hohe Zuströme. Wir könnten zwar in der Kapazität der Schulen mehr Studierende aufnehmen, haben aber die Studienplatzfinanzierung nicht. In diesem föderalen System schaffen wir es nicht, eine Finanzierung von Oberösterreich nach Wien zu bekommen. Von diesem System muss man wegkommen.

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Und im Vergleich dazu an den technischen Universitäten?

Kapsch: Da schaut es schaurig aus. Wir haben im Bereich der Elektrotechnik extrem rückläufige Zahlen. Sowohl an der TU Wien als auch an der TU Graz. Und da reden wir nicht von ein paar Prozent, sondern da verschwinden 25 bis 30 Prozent an Immatrikulierenden von Jahr zu Jahr. Also wenn in dieser Form weitergeht, dann wird es ein kleines Kränzchen an Studierenden, die sich dort noch treffen. Das andere ist natürlich auch die Veränderung des Studienplans mit dem Bachelor-Master-Thema. Das heißt, die Leute hören sehr gerne nach dem Bachelor auf, machen das Masterstudium nicht mehr und tauchen in das Berufsleben. Das reduziert den Output am Ende des Tages noch einmal.

Technikbegeisterung für Mädchen

Der geringe Frauenanteil zieht sich also durch alle Ausbildungswege. Mit Girls! TECH UP hat der OVE eine Initiative gestartet, um Mädchen für Technik zu begeistern. Kürzlich war das Format erstmals auch in Graz gefeiert – wie war das Feedback?

Reichel: Sehr, sehr positiv. Wir legen Wert darauf, dass Mädchen mit Frauen im Beruf sprechen können und dort die Berufswelt vermittelt bekommen. Das kommt gut an, auch bei den Lehrerinnen und Lehrern. Wir organisieren heuer auch zum ersten Mal den LET’S TECH Day, an dem wir uns gemeinsam mit Schülern und Schülerinnen mit Robotik und KI beschäftigen. Dort sind bereits alle Zeitslots ausgebucht, das freut uns.