Windkraft : Big Data für verbesserte Windprognosen
Ein kleiner Rückblick: Am Freitag den 26. November 2021 wurde der Osten Österreichs von einem Wintereinbruch überrascht. Temperaturen um den Gefrierpunkt, die ersten Schneeflocken fallen vom Himmel. Was bei den einen für erste Vorweihnachtsstimmung sorgt, versetzte die Expert*innen von Austrian Power Grid (APG) in ihrer Steuerzentrale im zehnten Wiener Gemeindebezirk in erhöhte Bereitschaft. Ihr Blick lag auf der im Osten konzentrierten Windkraft, wo Schneefall, dichte Wolken und Wind die Windräder eisigen Witterungsbedingungen aussetzen. Der Grund: Bei diesen Wetterverhältnissen kann aufgrund von vereisten Rotorblättern ein Ausfall der Stromproduktion aus Windkraft drohen.
Eisen die Rotorblätter an, ist eine Abschaltung ganzer Windparks zu erwarten. „Strom ist ein Just-in-Time-Produkt, wenn ganze Windparks abgeschaltet werden, müssen unsere Expert*innen aus der Steuerzentrale den Wegfall der Produktion aus Windkraft kompensieren. Je kurzfristiger diese Maßnahme ergriffen wird, umso teurer ist sie. Diese systemischen Zusammenhänge der nachhaltigen Stromwelt betrieblich managen zu können sind der Schlüssel, um die sichere Stromversorgung in Österreich zu gewährleisten und dem Ziel näher zu kommen, 100 Prozent des österreichischen Stromverbrauchs bis 2030 aus erneuerbaren Energien zu decken. Derartige Projekte sind Teil unseres Investitionsprogramms von rund 3,5 Milliarden Euro bis 2032 und sind wesentlich für die sichere Transformation des Energiesystems“, erklärt Christoph Schuh, APG-Unternehmenssprecher.
Software hilft mit frühzeitiger Identifizierung
Seit wenigen Wochen hat APG für vergleichbare Situationen eine Software von MeteoServe, einer 100%-Tochter der Austro Control, im Einsatz, die eine mögliche Aneisung vorzeitig melden und so dabei helfen soll, frühzeitig alternative betriebliche Maßnahmen zu ergreifen und somit auch Kosten zu sparen – etwa die Hälfte der rund 1.200 Windkraftanlagen in Österreich werden in Echtzeit überwacht und ihre Stromerzeugung laufend mit aktuellen Wetterdaten abgeglichen. Die dahinterstehenden Algorithmen wurden von APG und MeteoServe, entwickelt. Lukas Strauss, Mitinitiator des Projekts aufseiten MeteoServe erzählt, wie diese Kooperation zustande kam: „Zur Vereisung an Windkraftanlagen wird schon seit einigen Jahren geforscht. Der Austausch mit den KollegInnen von APG hat uns aber ganz klar den Anwendungsfall vor Augen geführt, für den sich die Erkenntnisse umsetzen lassen.“
Ausgleichsenergiekosten in bis zu Millionenhöhe
Im Extremfall können durch Vereisung ausgelöste, großflächige Abschaltungen von Windparks die sichere Stromversorgung gefährden und eine kritische Umverteilung der Stromflüsse im Energienetz verursachen. Einer der schwerwiegendsten Fälle dieser Art fand am 27. und 28. Dezember 2020 statt. Dabei traten maximale Abweichungen von der prognostizierten Erzeugung von bis zu 1.500 MW auf – das entspricht in etwa dem Verbrauch der gesamten Stadt Wien bzw. der Produktion von 7 Donaukraftwerken. Über ein 24-stündiges Zeitfenster summierte sich die fehlende Erzeugung auf rund 27.000 MWh. Das entspricht dem Stromverbrauch von etwa 2,5 Millionen Haushalten im gleichen Zeitraum. Bei einem weiteren Vereisungsfall hatte man neben der plötzlich unerwartet einbrechenden Erzeugung mit Gradienten (Änderungsgeschwindigkeit der Erzeugung) von rund 2.000 MW innerhalb einer Stunde zu kämpfen.
Warum das ein Problem ist, erklärt Kurt Misak, Abteilungsleiter Versorgungssicherheit bei APG: „Die Fehlmengen, die bei Vereisung auftreten, müssen durch den Einsatz von Regelreserven – Reservekraftwerken – laufend ausgeglichen werden – das ist teuer. Innerhalb einiger Stunden können Ausgleichsenergiekosten in bis zu Millionenhöhe entstehen. Abgesehen von der zusätzlichen monetären Belastung stellen uns unerwartet hohe Gradienten vor betriebliche Herausforderungen, bis hin zu Situationen, die die Versorgungssicherheit gefährden. Um dem gezielt entgegenwirken zu können, ist ein möglichst feingranularer und flächendeckender Überblick zur Lageeinschätzung und Kategorisierung essenziell. Dafür sind Messwerte an den Windturbinen und Statuswerte in Echtzeit erforderlich." Die Beschaffung und Echtzeitanalyse dieser Daten gestalte sich bisher aber als aufwändig. In dieser Hinsicht sei das mit MeteoServe entwickelte Überwachungssystem ein "Game Changer" für APG. Seit vergangenem Herbst könne man etwa von der Hälfte aller in Österreich installierten Windturbinen jede einzelne Anlage auf Anomalien in der Erzeugung überwachen. Das mit dem entwickelten Algorithmus bestimmte Vereisungspotenzial warnt zudem vor zu erwartenden Anlagenabschaltungen.
„Big Data“-Ansatz
Die Überwachung von Windkraftanlagen sei an und für sich Nichts Neues, oft sind sogar eigene Eisdetektorsysteme installiert, erklärt Strauss. Aber: „Womit wir es in diesem Projekt zu tun haben, ist eine Größenordnung darüber. Aufgrund der riesigen Datenmengen brauchte es einen „Big Data“-Ansatz, zunächst vor allem geeignete Visualisierungen, um die Zusammenhänge zwischen Anlagenverhalten und meteorologischen Umgebungsbedingungen für ganz Österreich sichtbar zu machen. Als Datenwissenschaftler versucht man diese Korrelationen dann auf so wenig entscheidende Parameter wie möglich herunterzubrechen; beispielsweise den richtigen Temperaturschwellwert, ab dem das System in den ‚Warnmodus Vereisung‘ übergeht.“ Den Überblick im „Datenhaufen“ zu behalten wird in Zukunft entscheidend sein. Denn laut Strauss sei geplant, in der Endausbaustufe des Systems die gesamte österreichische Windkraft in Echtzeit zu überwachen - das sind rund 1.200 Anlagen oder 3.600 MW an installierter Leistung.