OVE: Gerhard Fida und Kari Kapsch im Übergabeinterview : „Wir stehen in der Branche vor einem epochalen Wandel"

Gerhard Fida (links) und Kari Kapsch (rechts)

Gerhard Fida, Geschäftsführer Wiener Netze, (links) übernimmt die OVE-Präsidentschaft nach Kari Kapsch (rechts).

- © OVE/Schedl

Elektropraxis@Punktum: Herr Kapsch, Sie sind für Ihr Engagement in den vergangenen Jahren mit dem OVE-Award geehrt worden. Wie lautet Ihre persönliche Bilanz nach sechs Jahren OVE-Präsidentschaft?

Kari Kapsch:
Das Spannende, was uns geglückt ist, war aus einem klassischen Verband eine neutrale, zukunftsorientierte Plattform der Elektrotechnik zu machen, die die Branche wirklich sehr gut repräsentiert. Wenn wir einen Blick auf die Technik werfen, haben wir uns im Rahmen der DC-Initiative viel mit der Gleichspannungsversorgung beschäftigt und uns intensiv mit dem Thema der Energiegemeinschaften auseinandergesetzt. Auch Jugendarbeit war ein großes Thema. Es gab schon immer OVE-Studierendenorganisationen, aber wir haben sie massiv verstärkt, weil sukzessive Fachhochschulen wie die FH Technikum Wien dazustoßen. Was die Akademie und Weiterbildungsangebot betrifft, sind wir ebenfalls in die Breite gegangen und haben neue Themen angesprochen. Die Errichtungsnorm OVE E 8101 hat uns außerdem sehr viel beschäftigt und das Standardisierungsgeschäft weiter vorangetrieben.

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OVE-Generalversammlung 2024
Ehrung für Kari Kapsch: Er erhält den OVE Award für sein Engagement im Verband. - © OVE/Schedl
Das Spannende, was uns geglückt ist, war aus einem klassischen Verband eine neutrale, zukunftsorientierte Plattform der Elektrotechnik zu machen, die die Branche wirklich sehr gut repräsentiert.
Kari Kapsch

Neuer Präsident, neue Perspektive?

Die Präsidentschaft des OVE wechselt nun traditionell wieder von einem Wirtschaftsvertreter zu einem Netzbetreiber. Worin denken Sie, unterscheidet sich Ihre Perspektive auf die Elektrotechnik?

Kapsch: Wenn wir Unterschiede im persönlichen Zugang weglassen, sehen wir das große Ganze meiner Meinung nach gleich. Ein Energieversorger sieht die Probleme ebenso wie es die Industrie, das Gewerbe oder die Ausbildungsstätten tun. Da sind inhaltlich keine großen Unterschiede in der Herangehensweise. Im OVE gibt es ja nicht eine Meinung je Industrie oder Energieversorger oder Wissenschaft oder Bildungsstätte, es wird eine gemeinsame Meinung ausgearbeitet. Im Mittelpunkt steht die technische Machbarkeit. Und da haben wir, seit es Elektrizität gibt, immer den Schulterschluss zwischen Netzbetreiber und Technologielieferanten. Der eine muss sagen, was er will und der andere muss das realisieren.

Gerhard Fida: Ich glaube schon, dass ein Industrieunternehmen einen etwas anderen Fokus auf das ganze Spielfeld hat. Aus Sicht der Industrie schaut man, wie kann man Produkte in den Markt bringen kann. Der Netzbetreiber, beziehungsweise die Energiewirtschaft, hingegen versuchen, das Feld der Energiewende für ihre Kund*innen bestmöglich zu gestalten, mit bestmöglichen Technologien, mit bestmöglichen Standards. Die Stoßrichtung ist grundsätzlich die gleiche, die Sichtweise ein bisschen unterschiedlich. Daher tut es dem OVE auch sehr gut, dass es alle paar Jahre einen Wechsel gibt.

Ganz wichtig ist es zudem, aus der Sicht der Jungen auf die Elektrotechnik zu schauen. Die sind eben auf Instagram und TikTok zu Hause, was jetzt nicht unbedingt meine Welt ist, aber wir müssen sie begeistern und dort abholen, wo sie sind.
Gerhard Fida

Die Fachkräfte von morgen bewegen

Was ist es denn, das den OVE für die Branche und seine Mitglieder so wichtig macht?

Fida:
Kari Kapsch hat es bereits erwähnt, wir sind eine unabhängige Branchenplattform. Der OVE verknüpft Industrie und Gewerbe, die Netzbetreiber und natürlich den akademischen Bereich sowie den Bereich der Ausbildung und Fortbildung. Das ist etwas Einzigartiges. Ich glaube, dass wir einen sehr guten Rahmen schaffen und vor allem mit vielen Initiativen wie den Runden Tischen wirklich gute Formate gefunden haben, wo wir Menschen zusammenbringen. Auf der anderen Seite gibt es die Initiativen für junge Menschen, also seien es die Young Engineers, oder durch Initiativen, wo wir mit OVE Fem versuchen, Frauen und Mädchen für Technik zu begeistern. Damit können wir einen ganz wichtigen Beitrag zur Lösung des Fachkräftemangels leisten.

Gerhard Fida, OVE-Präsident und Geschäftsführer der Wiener Netze
Gerhard Fida ist neuer OVE-Präsident. - © OVE/Schedl

Und für Sie persönlich? Was hat Sie bewogen, die Präsidentschaft zu übernehmen?

Fida:
Es ist nicht so, dass mir langweilig gewesen wäre. (lacht) Ich habe mir das wirklich lange überlegt, weil es natürlich Zeitaufwand bedeutet, aber ich sehe, nachdem ich heute mit dem Team einen ganzen Vormittag verbracht habe, dass es sich lohnt. Ich freue mich, ein super Team im OVE zu haben und freue mich auf die Veranstaltungen, die heuer noch kommen werden – das wird spannend. Wir hatten erst kürzlich einen Kreativ-Workshop für die OVE Young Engineers, da war wirklich eine tolle Stimmung. Ich war so positiv überrascht, wie viele junge Menschen sich am Freitagnachmittag Zeit nehmen und wirklich engagiert den ganzen Nachmittag und Abend dabei waren. So können wir die Jugend bewegen.

Erfolg für "Join the Future"

Apropos Fachkräftemangel – eines von vielen Präsidentschafts-übergreifenden Projekten des OVE ist die Brancheninitiative „Join the Future“. Wie erfolgreich war die Kampagne?

Kapsch: Join the Future war eine geniale Initiative. Das Konzept ist extrem gut angekommen, wir zählen 52 Millionen Bruttokontakte, die Kampagnenvideos wurden 825.000 Mal vollständig angesehen, 148.000 Klicks gab es auf unsere Webseite. Man sieht schon, dass die Jugend sich wirklich mit diesem Thema begonnen hat auseinanderzusetzen. Den Erfolg an den Ausbildungsstätten selbst in einen messbaren Bereich zu bekommen, wird schwierig sein, man muss sich jetzt wirklich anschauen, wie sich die Studierendenzahlen verändern oder die der Schüler*innen im Fachbereich.

Fida:
Genau, daher wird es im Herbst noch einen Flight geben. Das ist schon fix eingeplant. Der Tenor geht aktuell sehr in die Richtung, dass sich die Verbände nächstes Jahr noch einmal zusammentun. Und ich muss ehrlich sagen, das bringt uns auch sehr, sehr viel. Wir müssen vor allem mal schauen, dass wir mehr junge Frauen für Elektrotechnik begeistern können. Es ist nicht mehr so, dass wir heute Gasflaschen durch die Gegend schleppen oder schwere Kabeltrommeln oder andere Dinge manuell bewegen müssen. Man kann den Job als Frau genauso ausüben, wie als Mann. Ganz wichtig ist es zudem, aus der Sicht der Jungen auf die Elektrotechnik zu schauen. Die sind eben auf Instagram und TikTok zu Hause, was jetzt nicht unbedingt meine Welt ist, aber wir müssen sie begeistern und dort abholen, wo sie sind. Und ich glaube, das ist etwas, was uns in den nächsten Jahren noch verstärkt gelingen muss.

>>> „Image der Elektrotechnik nicht das ist, was es sein sollte"

Wir haben extrem rückläufige Zahlen auf den technischen Universitäten. Das kann man vorsichtig dahingehend interpretieren, dass parallel ein sehr gutes Angebot bei den Fachhochschulen entstanden ist.
Kari Kapsch

Die Elektrotechnik-Lehre war 2023 der beliebteste Lehrberuf bei jungen Männern, an den Universitäten sieht die Lage anders aus. Woran liegt das?

Kapsch: Wir haben extrem rückläufige Zahlen auf den technischen Universitäten. Das kann man vorsichtig dahingehend interpretieren, dass parallel ein sehr gutes Angebot bei den Fachhochschulen entstanden ist. Ich glaube schon, dass es einen gewissen Sog gibt, weil die Themen an Fachhochschulen viel mehr Purpose-Driven angeboten werden. Eine Universität will eher forschen und nicht so lösungs- und marktorientiert sein. Nur, ich sage gerne, ich mache das Essen nicht für den Koch, sondern für den Gast. Und die Gäste sollen studieren.

Fida: Ich sehe die Studierendenzahlen an den Universitäten auch ein bisschen mit Sorge. Die sind gegenüber der Zeit, als ich studiert habe – was schon ein paar Jahre her ist – deutlich zurückgegangen. Das überrascht mich persönlich, gerade im Bereich der Energiewirtschaft mit der Mobilitäts- und Energiewende warten wirklich spannende Aufgaben auf junge Menschen. Ich glaube, hier fehlt es ein bisschen an der Attraktivität, um die TU wieder für Studierende attraktiv zu machen. Das ist etwas, was die FHs ganz gut verstanden haben. Sie sehen die Studierenden als ihre Kund*innen und schauen entsprechend auch, dass diese einen zügigen Studienerfolg erreichen können. Aber ich glaube, wir brauchen in der Branche FH-Absolvent*innen und genauso Absolvent*innen der technischen Universitäten, weil diese auf dem theoretischen Gebiet vieles einbringen können.

Das "OVE Universum"

- © OVE/Robert Six

OVE will "moderat" wachsen

Herr Fida, wir stehen am Start Ihrer Präsidentschaft. Welche Ziele haben Sie sich für das OVE-Universum gesteckt?

Fida:
Ich glaube, dass Fragen wie etwa, wie wir Fachkräfte zusehends begeistern können, wichtig sein werden. Wir haben intern auch über moderates Wachstum gesprochen. Das heißt jetzt nicht, dass wir ein Massenverband werden sollen, aber dass wir schauen, wo wir uns mit neuen Mitgliedern positionieren. Außerdem wollen wir uns in den Bundesländern ein bisschen breiter aufstellen. Das ist etwas, wo man einfach in der Vergangenheit ein bisschen Graz-Wien-lastig war. Wir wollen stärker versuchen, Fachhochschulen und Universitäten als OVE zu erreichen und vor allem auch Studierenden für uns zu begeistern.

Ich glaube, dass wir in der Branche vor einem wirklich epochalen Wandel stehen. Das, was in 120 Jahren Entwicklungsgeschichte im Bereich der Elektrizitätswirtschaft passiert ist, passiert jetzt viel rascher.
Gerhard Fida

Wir stecken mitten in der Energiewende, die Elektrotechnik ist dafür zentral. Welche Themen werden die Branche in den nächsten Jahre beschäftigen?

Fida:
Ich glaube, dass wir in der Branche vor einem wirklich epochalen Wandel stehen. Das, was in 120 Jahren Entwicklungsgeschichte im Bereich der Elektrizitätswirtschaft passiert ist, passiert jetzt viel rascher. Es wird erwartet, dass das Netz an allen Ecken und Enden gleichzeitig ausgebaut wird, was schon aufgrund der Ressourcen nicht möglich ist. Was uns ein bisschen fehlt, ist der klare Fokus. Sprich, wenn es Photovoltaikversorgegebiete gibt, dann wäre es schön zu wissen, wann diese errichtet werden sollen. Aber alles in allem, ist der OVE sehr gefordert, denn auch das Thema der Flexibilitäten ist ein großes. Wie funktioniert ein Netz dann auch noch sicher, wenn beispielsweise im Zuge einer Energiegemeinschaft jemand seinen Nachbarn beliefert? Ich glaube auch, dass die Speicherung in der Zukunft sehr viel stärker in den Fokus rücken wird. Dafür brauchen wir vernünftige Spielregeln und vor allem technische Parameter, womit wir wieder beim OVE und der elektrotechnischen Normung anschließen.