Gebäudeverbände statt Einzelgebäude : Infra­struktur für Energieversorgung klimafreundlicher und resilienter machen

Der Blick vom Turm der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät über den Campus der JKU zeigt die unterschiedlichen Gebäudetypen. Der Hörsaaltrakt und das Keplergebäude am linken Bildrand stammen aus den 1960er-Jahren, das Bankengebäude mit Gründach aus dem Jahr 1997. Für eine Photovoltaik-Anlage wären noch viele Dachflächen frei. Alle Gebäude sind an das Wärmenetz angeschlossen. Der neue Science Park (am rechten Bildrand hinter den Bäumen) wird zudem über ein Kältenetz versorgt.

Der Blick vom Turm der Technisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät über den Campus der JKU zeigt die unterschiedlichen Gebäudetypen. Der Hörsaaltrakt und das Keplergebäude am linken Bildrand stammen aus den 1960er-Jahren, das Bankengebäude mit Gründach aus dem Jahr 1997. Für eine Photovoltaik-Anlage wären noch viele Dachflächen frei. Alle Gebäude sind an das Wärmenetz angeschlossen. Der neue Science Park (am rechten Bildrand hinter den Bäumen) wird zudem über ein Kältenetz versorgt.

- © AEE INTEC

Die Stromnetze in Österreich und Deutschland gehören mit durchschnittlichen jährlichen Ausfallzeiten zwischen 10 und 15 Minuten zu den zuverlässigsten der Welt. Gebäude mit kritischen Funktionen, wie Rechenzentren, Krankenhäuser oder Labore, sind jedoch auf eine unterbrechungsfreie Stromversorgung (USV) angewiesen. In anderen Ländern, zum Beispiel den USA, sind Stromausfälle durch die veralteten Netze deutlich häufiger. Da an allen Orten der Welt Extremwetterereignisse zunehmen, wird Resilienz jedoch auch in Mitteleuropa immer wichtiger.

Die ganzheitliche Energie-Master-Planung kombiniert die Anforderungen für den Klimaschutz mit der für eine sichere Versorgung nötigen Resilienz. Sie betrachtet zudem nicht einzelne Gebäude, sondern Quartiere oder Campus, was häufig zu Synergien führt.

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Forschungsziel: Klimaschutz und Resilienz in einem

Zwei so komplexe Ziele parallel zu verfolgen und dabei alle Voraussetzungen und Stakeholder im Blick zu behalten, ist eine Herausforderung. Wenn dabei noch mehrere Gebäude betroffen sind, wird es noch kniffliger. Im Zuge des Programms „Energy in Buildings“ der Internationalen Energieagentur befasst sich eine Forschungsgruppe daher mit genau diesem Prozess. Im Rahmen des „Annex 73: Towards Net Zero Energy Resilient Public Communities” hat ein internationales Team 33 Fallbeispiele aus verschiedenen Ländern untersucht.

Herausgekommen sind eine Auswertung von Best-Practice-Beispielen und ein Handbuch, das Planungsteams die ganzheitliche Energie-Master-Planung erleichtern soll. Die Teams haben die Abläufe in sechs Projekten getestet. Darunter waren:

  • Zwei Militärkomplexe in den USA
  • Eine Universität in Österreich
  • Zwei Stadtviertel in Kanada und Deutschland
  • Eine Region in Dänemark

Das österreichische Team unter der Leitung von AEE INTEC hat Resilienz-Alternativen für den Campus der Johannes Kepler Universität (JKU) in Linz untersucht. Die Österreichische Forschungsförderungsgesellschaft FFG hat diese Arbeit unter der Projektnummer 864147 finanziell unterstützt.

Analyse der Johannes Kepler Universität

Am Anfang des Prozesses steht stets eine Analyse des Status quo, auch Baseline genannt. Für die Johannes Kepler Universität heißt das: Die gut 30 Gebäude auf dem Campus beziehen Strom und Fernwärme aus den jeweiligen Versorgungsnetzen. Einige Gebäude sind zudem an ein lokales Kältenetz angeschlossen. Auf dem Campus gibt es eine kleine Photovoltaik-Anlage, die ihren Strom ins öffentliche Netz einspeist. Nur wenige Verbraucher sind auf eine unterbrechungsfreie Stromversorgung angewiesen – zum Beispiel Kühlanlagen in den Laboren oder die Rechenzentren. Für diese gibt es bereits ein System zur Unterbrechungsfreien Stromversorgung (USV) mit Dieselgeneratoren.

Neben dem Status quo definiert der Planungsprozess in der Regel noch den künftigen Planzustand, auch Basecase genannt. Da an der JKU in naher Zukunft keine größeren Sanierungen geplant sind, sind Baseline und Basecase hier jedoch identisch.
Neben der Energieversorgung ist es wichtig, in der Bestandsaufnahme auch weitere Besonderheiten des Projektes zu erfassen. So sind zum Beispiel Nutzer*innen und Eigentümer des Campus, wie so oft bei öffentlichen Gebäuden, nicht identisch – das erhöht die Zahl der Stakeholder und damit die Komplexität. Jedes Maßnahmenpaket muss sowohl die politisch gesteckten Ziele für öffentliche Gebäude erfüllen als auch den Anforderungen des Unibetriebs genügen.

Szenarien: Blue Sky und Black Sky

Im Blue-Sky-Szenario erfasste das Projektteam die Ziele der Stakeholder für den Normalbetrieb. Dazu gehört im Falle der JKU zum Beispiel, dass der Strom 2030 bilanziell komplett aus erneuerbaren Energien kommen soll. Schon heute kommt er großenteils aus Wasserkraft. Die CO2-Emissionen sollen insgesamt um 37,5 Prozent sinken. Und schließlich soll die Lösung möglichst wirtschaftlich sein.

Im Szenario „Black Sky“ untersuchte das Forschungsteam wahrscheinliche Störungen der Stromversorgung. Da der Campus in einem Talkessel liegt, sind Überschwemmungen und Muren (Schlammlawinen) bei extremem Wetter erwartbare Gefahren. Auch mit Stürmen ist zu rechnen. In diesen Szenarien muss mindestens die USV für die kritischen Lasten wie Server und Laborkühlung sichergestellt sein. Unterbrechungen der sekundären und weiter nachrangigen Lasten sind für kurze bis mittlere Zeiträume hingegen akzeptabel, zum Beispiel bei der Beleuchtung, Gebäudekühlung und Wärmeversorgung.

Die systematische Erfassung der Basisdaten und Anforderungen, das Formulieren der Anforderungen und Resilienzszenarien hilft, komplexe Projekte zu strukturieren und die möglichen Alternativen zu bewerten. Ändert sich die Ausgangslage, können neue Szenarien (hier mit NEW gekennzeichnet) leichter in den Prozess eingespeist und geprüft werden.

- © AEE INTEC / Icons: Freepik / www.flaticon.com

Bewertung verschiedener Lösungsansätze

Nach diesen ausführlichen Analysen geht es schließlich an die Prüfung von Alternativen, die den Zielen womöglich besser gerecht werden als der Basecase. Für die JKU hat das Projektteam vier Alternativen untersucht.

Alternative 1:

  • Wenn man nahezu alle Dächer und Fassaden für Photovoltaik nutzt, ließe sich der Strombedarf wie angestrebt bilanziell komplett aus erneuerbaren Quellen decken. Für das Ziel der CO2-Minderung bringt dies jedoch wenig, da ein Großteil des Stroms bereits aus Wasserkraft stammt.

Alternative 2:

  • Ergänzt man die PV-Anlage um einen Stromspeicher, der die kritischen Lasten für 24 Stunden deckt, steigert der Campus im Blue-Sky-Szenario seine Eigenversorgung. Im Black-Sky-Szenario sinken der Dieselverbrauch und die Ausfallzeit für die unkritischen Lasten. Durch gezieltes Lastmanagement könnte man auch wichtige unkritische Verbraucher längere Zeit betreiben, z. B. die Beleuchtung bestimmter Bereiche.

Alternative 3:

  • Bei der Wärmeversorgung würde eine Sanierung nach den Richtlinien des Österreichischen Instituts für Bautechnik (OIB) den Wärme-und Kältebedarf um 36 Prozent senken. Die CO2-Emissionen sinken wärmeseitig im selben Maße, da sich der Energiemix der Fernwärme nicht ändert.

Alternative 4:

  • Mit einer ehrgeizigen Sanierung wäre 54 Prozent Minderung des Wärmebedarfs möglich, die wärmeseitigen CO2-Emissionen sinken entsprechend. Wie stark die Summe der CO2-Emissionen für Wärme, Strom und Kälte sinkt, hängt von der Bewertung der Stromversorgung, den künftigen Emissionen der Wärmequelle (Fernwärme) und der Kälteversorgung ab. Je nach Methodik wird die Minderung um 37,5 Prozent knapp erreicht oder verfehlt.


⇨ Für die Auswahl der besten Alternative sind auch die Kosten entscheidend. Diese wurden im ersten Quartal 2021 analysiert. Damals lag die Amortisationsdauer der PV-Anlage (Alternative 1) bei 9 Jahren, in Kombination mit dem Speicher (Alternative 2) bei 20 Jahren. Die Standarddämmung (Alternative 3) amortisierte sich erst nach fast 40 Jahren, die ambitionierte Dämmung (Alternative 4) noch später.

⇨ Kombiniert man die PV-Anlage mit der Dämmung, lassen sich die Mehrkosten teilweise kompensieren. Auf Grundlage dieser Bewertung kann am Ende des Prozesses eine Entscheidung für ein Energiesystem getroffen werden, welche die Belange aller Stakeholder sowohl im Blue- und Black-Sky-Szenario berücksichtigt.

Neubetrachtung 2022: Resilienz wird wichtiger

Die Bewertung der Szenarien lag Ende 2022 erst anderthalb Jahre zurück. Schon heute würde sie vermutlich anders aussehen. Die Energiekosten steigen, als Black-Sky-Szenarien werden Energieengpässe und Hitzewellen wahrscheinlicher. Das macht Maßnahmen interessant, die noch im Detail zu bewerten sind: Lokale Netze im Kombination mit Wärmepumpen könnten alle Gebäude mit Kälte und Niedertemperaturwärme versorgen.

Ein vorhandenes Wasserbecken auf dem Gelände ließe sich zur Wärmespeicherung nutzen. Grünanlagen und Wasserflächen könnten Hitzestaus verhindern und den Kühlbedarf senken. Das Book of Pilots und die Case Studies bieten Inspirationen für viele mögliche Lösungen. Mithilfe des standardisierten Prozessablaufes lassen sich diese Szenarien systematisch prüfen und vergleichen. Diese Aufgabe ist heute wichtiger denn je.

Redaktioneller Hinweis: Dieser Fachartikel stammt aus dem Planerjahrbuch 2023 unseres Schwestermagazins TGA. Hier geht's zur vollen Publikation: https://industriemedien.at/shop/produkt/tga-planerjahrbuch-2023/