Österreichischer Verband für Elektrotechnik : Energiesystem: Dekarbonisierung ohne Deindustrialisierung
Unabhängig davon, wie sich die kommende Bundesregierung in Österreich zusammensetzen wird: Für ein Gelingen der Energiewende ist es an ihr, die erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen und überfällige Gesetze zu beschließen. Denn sowohl das Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG), als auch das Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz (EABG) haben es in der letzten Legislaturperiode nicht mehr bis zum Beschluss im Nationalrat geschafft. Beide Gesetze sollen die Rahmenbedingungen für den Umbau des Energiesystems verbessern: Während das ElWG die Basis für den notwendigen Infrastrukturausbau ist, soll das EABG vor allem Genehmigungsverfahren verkürzen und bestehende Hürden aus dem Weg räumen.
Der Umbau des Energiesystems müsse ein überparteiliches Anliegen sein, forderten Expert*innen bei einer Pressekonferenz des Österreichischen Verbands für Elektrotechnik (OVE) im Vorfeld der OVE-Energietechnik-Tagung in Salzburg. Egal, wie die nächste Bundesregierung in Österreich aussehe, sie müsse die ausstehenden Gesetze rasch beschließen, bekräftigten die Expert*innen. Vor allem der Netzausbau müsse als Voraussetzung für die Versorgungssicherheit in einem nachhaltigen Energiesystem hohe Priorität haben.
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Der Umbau des Energiesystems mit dem damit verbundenen Ausbau von Stromnetzen und Speicherkapazitäten muss ein überparteiliches Anliegen sein.Gerhard Fida, OVE
Energiewende, ein überparteiliches Anliegen
Die österreichischen Netzbetreiber arbeiten daran, immer mehr erneuerbare Energien in das Energiesystem zu integrieren. Bereits in den vergangenen Jahrzehnten hat die Energiewirtschaft den Umbau der Netze für die Energiewende forciert: Über 30.000 Kilometer an zusätzlichen Stromleitungen wurden in den vergangenen 15 Jahren in Österreich verlegt. Um die steigende Netzlast bewältigen zu können, wurde die erforderliche Infrastruktur samt Umspannwerken und Transformatorstationen errichtet.
Allerdings fehlen mit dem ElWG und dem EABG nach wie vor Regelwerke als Basis für den weiteren notwendigen Infrastrukturausbau. „Der Umbau des Energiesystems mit dem damit verbundenen Ausbau von Stromnetzen und Speicherkapazitäten muss ein überparteiliches Anliegen sein“, forderte daher OVE-Präsident Gerhard Fida im Rahmen der Pressekonferenz.
Das Energiesystem der Zukunft müsse nicht nur nachhaltig sein, sondern vor allem auch leistbar, betonte Herwig Struber, Vorstand der Salzburg AG. „Wir müssen unsere Energiesysteme so weiterentwickeln, dass sie einen ökologischen und ökonomischen Mehrwert für die Gesellschaft bringen. Energie muss auch in Zukunft leistbar und dauerhaft verfügbar sein.“
Notwendig seien dafür innovative Ansätze und der Einsatz neuer Technologien, sowie ein hoher Digitalisierungsgrad. Bei der Umsetzung müssten die Kund*innen im Fokus stehen, man müsse sie für die Energiewende begeistern und aktiv einbinden. Dies könne beispielsweise durch die Eigenerzeugung der Kund*innen als Prosumer, der Teilnahme an erneuerbaren Energiegemeinschaften sowie durch Anreize für einen flexiblen Endkundenverbrauch erfolgen, so Struber.
Die Zukunft des europäischen Green Deal
Die vergangenen Jahre haben in der EU eine Vielzahl an Gesetzesinitiativen zur Energiewende gebracht. Beschleunigt durch die Energiekrise im Jahr 2022 wurden unter den Überbegriffen Green Deal und RePowerEU zahlreiche Richtlinien und Verordnungen beschlossen. Bei der Umsetzung in nationales Recht ist allerdings nicht nur Österreich säumig, sondern auch viele andere Mitgliedsstaaten.
„Bedingt durch die Mehrheiten auf EU-Ebene sind zwar keine weiteren gesetzlichen Maßnahmen zu erwarten, eine Rücknahme bereits beschlossener Gesetzesinitiativen ist allerdings auch unwahrscheinlich. Die nächsten Jahre werden in der EU und in Österreich daher gekennzeichnet sein von einer Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen und weniger von neuen Initiativen zum Klimaschutz“, zeigt sich Energieexperte und Politikberater Walter Boltz überzeugt. Die größte Herausforderung werde es sein, die Dekarbonisierung des Energiesektors voranzutreiben und mittels Strukturreformen gleichzeitig die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu stärken.
Eine große Herausforderung für die gesamte Energiebranche ist derzeit auch der Fachkräftemangel. Es müsse gelingen, mehr junge Menschen – und vor allem mehr Frauen – in die Berufe der Zukunft zu holen, betonte OVE-Präsident Fida und gab sich gleichzeitig zuversichtlich: „Der OVE ist für die Zukunft gut aufgestellt: Mit unseren Initiativen sind wir ganz vorne dabei, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Mit gemeinsamen Anstrengungen werden wir diese Herausforderungen meistern.“ Die OVE-Energietechnik-Tagung legte mit den OVE-Energietechnik-Preisen für herausragende Abschlussarbeiten ebenfalls einen Fokus auf den Fachkräftenachwuchs.
OVE-Energietechnik-Preise 2024
Im Rahmen der OVE-Energietechnik-Tagung am 16. und 17. Oktober wurde der OVE-Energietechnik-Preis für innovative Abschlussarbeiten an HTLs, FHs und Universitäten verliehen. Das sind die Preisträger*innen:
Kategorie Dissertationen, Preisgeld 2.500 Euro
- Dr. techn. Philipp Schachinger, TU Graz, Institut für Elektrische Anlagen und Netze:
„Analysis of Low Frequency Neutral Point Currents and their Impact on Power Grids“
⇨ Niederfrequente Ströme, wie sie etwa bei Sonnenstürmen auftreten, können den sicheren und zuverlässigen Betrieb unseres Energiesystems gefährden. Diese zu erkennen, vorherzusagen und zu analysieren, hat sich Philipp Schachinger zur Aufgabe gemacht. Im Rahmen seiner Dissertation an der TU Graz hat er ein bestehendes Messsystem verbessert und erweitert sowie alternative Messsysteme getestet und damit die Auswirkungen von niederfrequenten Strömen auf die Stromnetze analysiert. Ziel seiner Forschung ist es, das Risiko für Störungen im Stromnetz zu verringern.
Kategorie Abschlussarbeiten an FHs und Universitäten, Preisgeld 2.500 Euro
- Dipl.-Ing. Wendelin Angermann, TU Graz, Institut für Elektrische Anlagen und Netze:
„Analytische Optimierung und praktische Verifikation der Blindleistungsbereitstellung von Erzeugungsanlagen“
⇨ Die Stabilität des Energiesystems stand auch im Mittelpunkt der Masterarbeit von Wendelin Angermann. Er entwickelte eine Methodik für besonders effiziente und rechenzeitoptimierte Lastflussberechnungen, um die gesetzlichen Anforderungen (TOR) verifizieren zu können. Zusätzlich entwickelte er ein optimiertes Regelkonzept eines Transformatorstufenstellers zur Maximierung der Blindleistungsbereitstellung. Mit einem eigens erarbeiteten Versuchskonzept für die praktische Verifikation der Berechnungsergebnisse konnte er Versuche im aktiven Netzbetrieb durchführen.
Kategorie Projektarbeiten (HTL-Diplomarbeiten), Preisgeld 2.000 Euro
- Daniel Klein und Paul Damberger; HTL Mödling:
„Informationsfluss und Datenfluss im Rahmen der "Sicherheitstechnischen-Überprüfung" nach OVE E 8101:2019-01-01“
⇨ In ihrer Diplomarbeit untersuchten Daniel Klein und Paul Damberger die Prüfung einer einfachen Wohnungsinstallation in allen Schritten bis zur Erstellung des Prüfberichtes. Herausgekommen ist eine Liste mit häufigen Fehlern und deren Normverweis. Zusätzlich bauten die beiden Schüler einen Testverteiler für die HTL Mödling, der helfen soll, das Thema Schutzmaßnahmen im Unterricht anschaulich darzustellen.