Bernhard Spalt im Interview : OVE Standardization: „Wir schreiben nicht vor, wir liefern Angebote“

Bernhard Spalt OVE Standardization

Vor einem Jahr hat Bernhard Spalt die Leitung von OVE Standardization übernommen – mit ihm steht ein passionierter Normungsexperte an der Spitze der elektrotechnischen Normung in Österreich.

- © OVE/Christian Fürthner

Mit Bernhard Spalt hat im September 2023 ein erfahrener Normungsexperte die Leitung von OVE Standardization nach dem unerwarteten Ableben von Christian Gabriel übernommen. Der studierte Elektrotechniker war vor seinem Eintritt in den Verband vor 14 Jahren bei der Siemens AG im Bereich Mobilfunksysteme in der Standardisierung bei ETSI und 3GPP tätig. 2010 übernahm Spalt als Technischer Referent die Betreuung von 20 Technischen Komitees und Subkomitees bei OVE Standardization. Auch international ist er seit 2011 Sekretär eines Technischen Komitees des IEC und seit fünf Jahren ständiger Delegierter im Technical Board des Europäisches Komitees für elektrotechnische Normung (CENELEC), dem höchsten europäischen elektrotechnischen Gremium.

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Die Stärkung der elektrotechnischen Industrie und der Interessen dahinter, das ist die DNA des OVE.

Elektropraxis@Punktum: Herr Spalt, Sie haben die Leitung von OVE Standardization seit einem Jahr inne. Wie lautet Ihr Fazit?

Bernhard Spalt:
Die Standardisierungsfamilie von IEC und CENELEC hat mich sehr wohlwollend aufgenommen. Ich war kein Unbekannter, immerhin bin ich bald 15 Jahre mit dabei, aber mehr operativ unter dem Management. Als Team sind wir durch die Gegebenheiten durchaus enger zusammengerückt. Und auch die Erfahrung, das operative Geschäft in die Managementbeziehungen einzubringen, ist eine sehr nette Sache. Manche haben zu Beginn ein bisschen verwirrt reagiert, wenn ich nach der praktischen Umsetzung gefragt habe. (lacht) Die Normung ähnelt einer Familie, wir diskutieren und man ist nicht immer einer Meinung. Aber die Grundlage ist ein sehr wohlwollender Umgang und den habe ich durchwegs überall wahrgenommen.

Was macht die Normung für Sie persönlich denn so spannend?


Spalt:
Der Grund, warum ich in der Standardisierung gelandet bin, ist, dass es immer etwas Neues gibt. Die Idee eines Nationalkomitees in Österreich, wie wir eines sind, ist, die Interessen Österreichs – das ist in den meisten Fällen die österreichische elektrotechnische Industrie – einzubringen und zu vertreten. Wir sind als kleines Nationalkomitee gut unterwegs. Wir haben tausend Experten, die national mitarbeiten und schon fast 300, die das international tun. Diese Leute zu enablen, das vernünftig zu machen, das war mir schon immer ein Anliegen und wird es immer mehr. Das alles mündet in ein Thema, nämlich Education about Standardization.

Was kann man sich darunter vorstellen?


Spalt:
Wir wollen auf den Universitäten und in den Schulen das Bewusstsein für Standardisierung schaffen und verankern. Das ist für die elektrotechnischen Fakultäten schon eingeleitet, auf der TU Wien und auf der TU Graz halte ich Vorlesungen. Auf der FH Wels mache ich das auch schon länger. Aber das muss mehr werden und sollte über die Elektrotechnik hinausgehen. Normung ist einfach ein Grundthema, wofür jeder ein Bewusstsein haben sollte. Es tut zum Beispiel schon weh, wenn irgendein Start-up kommt und dann schockiert ist, dass es eine Norm gibt, die eigentlich helfen würde, das Projekt besser und einfacher zu gestalten, aber man nicht davon wusste. Genau dafür sind wir Dienstleister. Nur das Problem ist, viele wissen es nicht. Das ist die eigentliche Herausforderung für alle Standardisierer – wir müssen da Bewusstsein schaffen.

Als Techniker wird uns oft unterstellt, ihr seid Nerds, versteckt euch hinter dem PC und redet nicht mit den Leuten. Standardisierung ist das genaue Gegenteil.

7.000 OVE-Normen unter einem Hut

Sie haben von Bewusstsein gesprochen – laut OVE-Website gibt es rund 7.000 elektrotechnische Normen und Richtlinien. Gerade in der Praxis kann es schwierig sein, den Überblick zu behalten. Was tut sich denn in der nächsten Zeit, was Elektrotechniker*innen keinesfalls übersehen dürfen?

Spalt:
Ja, bei 7.000 Normen hat jeder seine Nische. Dafür sind wir da. Aber die wesentlichste und größte Norm, die wir haben, sind die Errichtungsbestimmungen für elektrische Niederspannungsanlagen in der OVE E 8101. Die wird nächstes Jahr neu erscheinen. Das ist wesentlich, weil sich alle Elektriker daran halten müssen. Wir haben bereits einen Entwurf, jetzt sind wir im Prozess, diesen zu evaluieren. Danach wird es in der Anwendung gültig, wahrscheinlich gegen Ende nächsten Jahres.

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Wann gab es die letzte Überarbeitung? Auf welchem Stand ist die Norm jetzt?

Spalt: Der normale Zyklus ist alle fünf Jahre und die aktuelle OVE E 8101 ist 2019 herausgekommen. Wir versuchen, das in einem vernünftigen Prozess zu machen, weil es häufig die Kritik gibt, dass man die Norm so oft neu kaufen muss. Das Ziel für den Zyklus sind fünf Jahre, um das immer up to date zu halten. Es geht bei der elektrotechnischen Normung fürs Erste ja um Sicherheit.

Trotzdem genießt die Normung oft den schlechten Ruf, eine trockene Angelegenheit zu sein – was setzen Sie dem entgegen?


Spalt:
Kommen Sie vorbei! Dann wissen Sie, dass es nicht so ist. Als Techniker wird uns oft unterstellt, ihr seid Nerds, versteckt euch hinter dem PC und redet nicht mit den Leuten. Standardisierung ist das genaue Gegenteil. Standardisierung bedeutet, so lange miteinander zu reden, bis ein Konsens gefunden ist. Und das Schöne daran ist, das ist ein internationales Ding. Wo haben Sie die Chance, Mitbewerber aus der ganzen Welt kennenzulernen und mit ihnen tage-, sogar wochenlang zu diskutieren? Normung ist außerdem immer am Stand der Zeit. Die jetzigen Zukunftsthemen, wie z.B. alle Themen rund um den Green Deal, kommen alle bei uns vorbei.

Bernhard Spalt, neuer Leiter von OVE Standardization
Bernhard Spalt, Leiter von OVE Standardization, über die Vorteile der elektrotechnischen Normung. - © OVE/Miriam Mehlman

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Mitbewerber kennenzulernen, das ist natürlich ein Buzzword für die Industrie, oder?

Spalt: Ich betreue zum Teil Affiliates, das sind Entwicklungsländer, die in der Standardisierung teilnehmen, und die fragen oft, wie sie Werbung für die Normung machen sollen. Es braucht aber gar keine Werbung, sondern Bewusstsein bei der Industrie. Dann kommen sie von selbst. Das ist auch die Idee, denn Reise- und Zeitkosten muss der Teilnehmer tragen. Aber zu wissen, was der Regulierer und die Mitbewerber tun, ist ein sehr wesentlicher Vorteil. Die Leute sind dann immer ganz begeistert, wenn sie wissen, die Konkurrenz macht dieses und jenes. Denn wenn man mit denen über eine technische Lösung diskutiert hat, dann weiß man auch, wie sie die gebaut haben.

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Extrem schnelle Schüsse, wo Sicherheitsaspekte und andere wichtige Themen nicht eingebunden sind, sind nicht im Sinne der Gesellschaft. Die sind im Sinne von Monopolisten.

Normung als Gemeinschaftsprozess

Standardisierung ist am Zahn der Zeit, aber wie geht man da mit Technologien um, die sich rasant weiterentwickeln, zum Beispiel KI? Kann man da Schritt halten?

Spalt: Das ist eine sehr strategische und politische Frage. Uns wird vorgeworfen, es braucht alles immer so lange. Ein üblicher Normungsprozess dauert zwei bis drei Jahre und ich finde das eine gute Zeit, damit sich alle einbringen können. Das ist etwas ganz Wesentliches. Wir sind als Nationalkomitee organisiert, damit auch kleine und mittlere Unternehmen, die nicht nach London und Tokio fahren, beim OVE in der Eschenbachgasse vorbeikommen, und sich einbringen können.

Das Gegenteil dazu sind Foren und Konsortien, wo sich die drei Großen mit riesigen Mitgliedsbeiträgen zusammenschließen und ihre Papiere schreiben. Da sind alle Kleinen ausgeschlossen, die Großen können extrem schnell arbeiten und die Details festlegen. Unser Interesse ist, alle einzubinden und damit leben wir mit dem Manko Zeit, ja – aber ich bin der Meinung, das macht Sinn. Extrem schnelle Schüsse, wo Sicherheitsaspekte und andere wichtige Themen nicht eingebunden sind, sind nicht im Sinne der Gesellschaft. Die sind im Sinne von Monopolisten. Klar, wir können immer schneller werden, aber wenn es zu schnell geht, überfordert man andere und kann sie nicht abholen. Ich fühle mich durchaus verpflichtet, jeden Österreicher einzubinden, aber ich kann nicht jedem einen Brief schreiben. Das ist in gewisser Weise ein Dilemma, aber wir sind mittendrin und bemühen uns.

OVE Universum
Teil des "OVE-Universums": OVE Standardization - © OVE/Robert Six

Der OVE hat auch eine festgelegte Normungsstrategie. Da sind Themen festgehalten, die im Rahmen der elektrotechnischen Normung aktiv fördern wollen, darunter Nachhaltigkeit, Energiewende, Versorgungssicherheit und Ethik. Wie kann das in der Praxis aussehen?

Spalt:
Die ethischen Aspekte in der Elektrotechnik fangen prinzipiell bei Sicherheit an. Das ist das Hauptthema und die Unfälle, die wir haben, die fallen und fallen. Unser Ziel in diesem Sinne erfüllen wir. Bei sehr akademischen KI-Themen wird es schwierig. Aber da stellt sich die Frage, was kann Normung tun? Die Normung liefert zwar Lösungsansätze, aber die letztliche Entscheidung liegt bei den Individuen. Das Thema hat man bei KI sehr oft, schlussendlich muss ein Mensch entscheiden, der darf sich nicht hinter der Maschine verstecken. Das sind eigentlich nicht mehr Normungsthemen, sondern regulative Themen. Normung ist ein Angebot, an alle, sie anzuwenden. Man kann die Norm anwenden, es gibt auch Themen, wo der Gesetzgeber das verpflichtet. Ob ich sie anwende in einem Muss oder in einem Kann, das obliegt jedem einzelnen. Wir sind nicht diejenigen, die es vorschreiben, sondern die die Angebote liefern.

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Man merkt, die Ansprüche an die Normung kommen aus vielen Ecken. Wie vermeidet man da, der Buhmann für alle zu sein? Geht das überhaupt?

Spalt:
Ich liebe diesen Job, und ich liebe auch das Dilemma, in dem wir sind. Das Thema ist nun mal, wie gerne geht man mit Menschen um? Das ist Standardisierung. Und wenn man wohlwollend mit Menschen umgehen will, dann ist man bei uns willkommen. Alle haben Begehrlichkeiten, und die kann man nicht eins zu eins lösen, aber ich bin aber der Meinung, dass wir uns üblicherweise logisch erklären können, warum etwas so ist wie es ist. Es ist ein Kompromiss, es ist ein Konsensprozess und den kann man auch erklären. Das ist die Aufgabe meiner Kollegen und mir – und wir machen sie, davon bin ich überzeugt, gerne.