OVE Energietechnik Tagung 2023 : Die Politik in der Pflicht: Weg mit den Bremsklötzen

Unter Rekordbeteiligung ging die 60. OVE-Energietechnik-Tagung in Klagenfurt über die Bühne.

Unter Rekordbeteiligung ging die 60. OVE-Energietechnik-Tagung in Klagenfurt über die Bühne.

- © OVE/Christian Fürthner

Die 60. Auflage der OVE-Tagung wäre eine gute Gelegenheit gewesen, Rückschau zu halten und sich selbst als Interessenverband der Elektrotechnik auf die Schulter zu klopfen. Die Zeit drängt jedoch, und so richtete OVE-Präsident Kari Kapsch den Blick lieber in die Zukunft: „Da gibt es genügend Herausforderungen zu bewältigen.“

Ausgerechnet in der grünen Transformation hätten Privathaushalte und Wirtschaftstreibende mit extrem hohen und volatilen Energiekosten zu kämpfen. „Energiekostenzuschüsse sind das vermeintliche Wunderinstrument der letzten zwei Jahre. Auf Basis unsicherer Zuschüsse kann die Wirtschaft aber nicht kalkulieren.“

Ambitionierte politische Ziele werden gesteckt, die gesetzlichen Voraussetzungen für deren Umsetzung fehlen. Kapsch fordert daher mehr Tempo und zugleich nachhaltige Rahmenbedingungen. „Der notwendige Umbau des Energiesystems ist Marathon und Sprint zugleich.“ Um dies zu verdeutlichen, verweist er auf die Situation im Gastgeber-Bundesland Kärnten. Hier befinden sich gegenwärtig zehn Windkraft-Standorte. Das mittelfristige Potenzial schätzt die IG Windkraft auf bis zu 400 Standorte.

OVE-Präsident Kari Kapsch: „Ambitionierte politische Ziele werden gesteckt, aber die gesetzlichen Voraussetzungen für die Umsetzung fehlen.“
OVE-Präsident Kari Kapsch: „Ambitionierte politische Ziele werden gesteckt, aber die gesetzlichen Voraussetzungen für die Umsetzung fehlen.“ - © OVE/Christian Fürthner

Nachwuchs in der Elektro-Branche fehlt

Kapsch: „Wir brauchen die Akzeptanz der Bevölkerung. Wir brauchen aber auch die qualifizierten Arbeitskräfte zur Umsetzung.“ Allein bei den Energieversorgern würden 2.000 Mitarbeitende fehlen, 12.000 mit den angelagerten Industrie- und Gewerbebereichen. Bis 2026 dürfte deren Zahl auf 20.000 ansteigen. „Ein Beispiel: In Kärnten kommen auf zurzeit 100 offene Stellen für Stromstromtechnik nur neun Bewerber*innen.“

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Leider rücken auch immer weniger Junge in die Branche nach. „An den Technischen Universitäten Graz und Wien sehen wir jährliche Rückgänge von bis zu 30 Prozent bei den Studierenden. Wir brauchen Elektroniker*innen, Elektrotechniker*innen, Energietechniker*innen und Digitalisierungsexpert*innenen.“ Um Abhilfe zu schaffen, startete die Wertschöpfungskette von OVE über FEEI bis Bundesinnung die Brancheninitiative „Join the Future“.

Initiative: Die Zukunft erfinden

„Zukunftserfinder*innen“ suchen OVE, FEEI, Oesterreichs Energie, die Bundesinnung der Elektro-, Gebäude-, Alarm- und Kommunikationstechniker sowie das Bundesgremium des Einrichtungs- und Elektrofachhandels im Rahmen der Brancheninitiative „Join the Future“. Eine erste österreichweite Online-Kampagne richtet sich vornehmlich an Schüler*innen.

Kurze Online-Videos sollen die Aufmerksamkeit der jungen Zielgruppe wecken. Auf der Website www.zukunftserfinderinnen.at können Interessierte durch die vielfältigen Themenfelder navigieren. Ein Persönlichkeitsquiz bringt der Zielgruppe nicht nur Grundinformationen der Elektrotechnik näher, sondern dient auch als Wegweiser in die richtige Fachrichtung.

FEEI-Geschäftsführerin Marion Mitsch: „Mit 300 Unternehmen, rund 72.000 Beschäftigten und einem Produktionswert von 23,34 Milliarden Euro im Jahr 2022 ist die Elektro- und Elektronikbranche eine der treibenden Wirtschaftskräfte in Österreich. Qualifizierte Fachkräfte sind die Voraussetzung für einen starken Wirtschaftsstandort.

Kelag: Energiewende ist Wärmewende

Der Kärntner Energieversorger Kelag zählt zu den größten Wärmeanbietern Österreichs. Für Reinhard Draxler, seit Mai 2023 Kelag-Vorstand, ist die Energiewende daher nicht zuletzt eine Wärmewende. „Zur Dekarbonisierung des Wärmebereichs stehen nur Strom und Biomasse zur Verfügung.“ Draxler kritisiert das Auseinanderklaffen von europäischen und nationalen Zielsetzungen und der Wirklichkeit. „Wer Ja sagt zur Erzeugung erneuerbarer Energien, muss auch Ja sagen zum Ausbau der Infrastruktur auf allen Netzebenen.“

Mitunter hapert es aber bereits bei der erneuerbaren Produktion. Draxler verweist etwa auf die „Sichtbarkeits-Verordnung“ in Kärnten. Ursprünglich geschaffen, um Moscheen zu verhindern, wurde die Verordnung auf Windräder ausgeweitet, die demnach als nachteilig fürs Landschaftsbild gesehen werden. Positiv wertet der Kelag-Vorstand das aktuelle Programm der Kärntner Landesregierung, „als gelernter Österreicher würde ich mir aber auch entsprechende Verordnungen wünschen.“ Auch die Genehmigung von Freiflächen-Photovoltaikanlagen sei häufig langwierig. „In einigen Ländern geht das binnen sechs Monaten.“

Trotz der gegenwärtig noch bestehenden Hürden sieht Draxler einen Energiemarkt im Wandel: „Zukünftig wird es dynamische Preise geben für Tag und Nacht, für Sommer und Winter.“ Es werde mehr Speichermöglichkeiten geben, in Form von Batterien, Pumpspeicher-Kraftwerken oder auch durch Sektorkopplung gemeinsam mit Wasserstoff. Das zurzeit eher eindimensionale Verhältnis zwischen Energielieferant und Kund*innen werde einer Vielfalt Platz machen. „Jeder wird Teil einer EEG und einer Bürgerenergiegemeinschaft sein. Drei bis vier Stromlieferanten zu haben, wird selbstverständlich sein.“

Die Energiewende sei nur durch ein Miteinander zu bewältigen – auch über Grenzen hinweg. Draxler verweist in diesem Zusammenhang auf die Forschungskooperation mit Slowenien und Kroatien im Rahmen des europäischen Projekts „GreenSwitch“.

Kelag-Vorstand Reinhard Draxler: „Wer Ja sagt zur Erzeugung erneuerbarer Energien, muss auch Ja sagen zum Ausbau der Infrastruktur auf allen Netzebenen.“
Kelag-Vorstand Reinhard Draxler: „Wer Ja sagt zur Erzeugung erneuerbarer Energien, muss auch Ja sagen zum Ausbau der Infrastruktur auf allen Netzebenen.“ - © Kelag

Forschungsprojekt Grüner Schalter

Gemeinsam mit Unternehmen aus Slowenien und Kroatien ist die KNG (Kärnten Netz GmbH) am europäischen Projekt GreenSwitch beteiligt. Ziel ist es, die Nutzung bestehender Strominfrastrukturen zu optimieren und die Integration neuer Technologien in die Übertragungs- und Verteilernetze zu ermöglichen.

Während der Projektlaufzeit von 2023 bis 2028 sollen 200 Mio. Euro in primäre Infrastruktur, Plattformen und Funktionalitäten investiert werden. Die KNG beteiligt sich daran mit rund 50 Mio. Euro.

GreenSwitch
© GreenSwitch

ÖNIP: Keine Zeit zu verlieren

Auf die Energieträger Strom und Gas setzt Judith Neyer bei der Klimawende. So ist das auch im Entwurf zum Integrierten Österreichischen Netzinfrastrukturplan (ÖNIP) festgehalten, den die Abteilungsleiterin Strategische Energiepolitik des Klimaschutzministeriums mit ausgearbeitet hat. „Beide Energieträger lassen sich zu 100 Prozent auf erneuerbare Produktion umstellen.“

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Wie viel Energie wird Österreich benötigen? Wie viel kann hierzulande erneuerbar erzeugt werden? Wie viel muss importiert werden? Welche Netze sind umzurüsten? Diese und viele andere Fragen versucht der ÖNIP im Rahmen einer strategischen Gesamtschau zu beantworten. Fest steht: „Der Ausbau von Infrastrukturen ist langwierig. Daher haben wir keine Zeit zu verlieren.“

Bei der Tagung ging’s nicht nur um Energietechnik. Die Science Busters experimentierten mit des Österreichers liebstem Energy Drink: Bier.

- © OVE/Christian Fürthner

APG fordert Vorfahrt für den Netzausbau

„Es braucht diesen ganzheitlichen Rahmenplan und wir sind dankbar, dass es ihn gibt“, so Gerhard Christiner. Nun aber sei vor allem die Politik gefordert. Der technische Vorstand des Übertragungsnetzbetreibers APG verweist in diesem Zusammenhang auf den geplanten 220-kV-Versorgungsring in Oberösterreich. Das für die Dekarbonisierung der emissionsintensiven Stahlindustrie zentrale Projekt wurde durch eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vorerst gestoppt.

Bestellungen im Volumen von 100 Millionen Euro sind bereits draußen“, schildert der APG-Chef. Nach dem Gesetz solle nun innerhalb von sechs Monaten eine endgültige Entscheidung getroffen werden, „aber in Salzburg hat das damals dreieinhalb Jahre gedauert.“ Wenn jeder Einspruch von Anrainer*innen oder Umweltschützer*innen für Verzögerungen sorgt, lassen sich Ausbauprojekte nicht in der gebotenen Eile umsetzen. Christiner: „Wir können nicht bei jedem Projekt durch alle Instanzen gehen. Wenn die Politik die Dekarbonisierung will, dann muss sie das auch gesetzlich so regeln und den entsprechenden Projekten Priorität einräumen.“

Für die Energiewende ist ein fundamentaler Umbau des Energiesystems nötig. Daran ändern auch Erneuerbare-Energie-Gemeinschaften nichts, so sehr diese zu begrüßen seien. Um die im ÖNIP entwickelten Pläne umzusetzen, brauche es eine Verdoppelung der Leitungskapazitäten im Verteilnetz, 64 zusätzliche Umspannwerke und rund 110 Trafos. „Das sind enorme Investitionen.“

Auf der anderen Seite stünden die Kosten der in immer regelmäßigeren Abständen notwendigen Redispatches sowie verhältnismäßig hohe Stromkosten in Österreich, weil Importe aufgrund mangelnder Kapazitäten immer häufiger unmöglich seien und stattdessen Gaskraftwerke hochgefahren werden müssen. Christiner: „Wir brauchen den Netzausbau, wir brauchen die digitale Transformation der Stromversorgung, wir brauchen mehr Daten und ein modernes Marktdesign. Ich plädiere für Systemverständnis statt Ideologie und für weniger Regulatorik, dafür mehr Physik.“

Zwei längst angekündigte Gesetzesvorhaben müssten unbedingt noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden: das Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz EABG, das gemeinsam mit der RED III-Richtlinie auf EU-Ebene zur Verfahrensbeschleunigung beitragen würde, und das Elektrizitätswirtschaftsgesetz ElWG – „das wäre ein echter Turbo für die Energiewende“.

Gerhard Christiner, APG-Vorstand
APG-Vorstand Gerhard Christiner: „Das Erneuerbaren-Ausbau-Beschleunigungsgesetz und das Elektrizitätswirtschaftsgesetz brauchen wir noch in dieser Legislaturperiode – das wäre ein echter Turbo für die Energiewende.“ - © APG/Ricardo Herrgott